Foto: © Museumslandschaft Hessen Kassel
Seit vier Jahren ist Prof. Dr. Martin Eberle Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK). Die Pandemie hat auch die MHK ausgebremst, aber 2022 wird wieder durchgestartet und uns erwartet ein Reigen an Eröffnungen und Veranstaltungen. Wir haben Prof. Dr. Eberle zum Interview getroffen und mit ihm über die Digitalisierung, die aktuellen Bauprojekte und neue Veranstaltungsformate gesprochen.
Während der Pandemie hat die MHK kontinuierlich ihr digitales Angebot erweitert. Ist die Digitalisierung von musealem Content ein Fluch oder ein Segen?
Die Digitalisierung war für uns während der Pandemie ein echter Segen. Wir konnten zu jeder Zeit – auch während der Schließzeiten unserer Museen – den Kontakt zu unseren Besucher*innen halten, stetig pflegen und neue Zielgruppen dazugewinnen. Unsere Mitarbeiter*innen haben innerhalb kürzester Zeit hochwertige Programme zu unterschiedlichen Themen in unterschiedlichen Sprachen entwickelt und so unseren Gästen die Museen und Schlösser direkt nach Hause gebracht. So hatten Interessierte auch in den teilweise schwierigen Zeiten die Möglichkeit, an unseren kulturellen Angeboten teilzunehmen. Wir haben viele sehr dankbare Rückmeldungen dazu erhalten. Das war das größte Geschenk.
Mittlerweile hat sich die Digitalisierung auch in unserer täglichen Arbeit etabliert. Wir denken nicht mehr nur analog, sondern planen bei all unseren Angeboten vielfältige digitale Inhalte direkt mit. Die gibt es dann als Kurzclip, App, 360°-Rundgang, digitaler Vortrag oder AR-Anwendung. Möglichst in verschiedenen Sprachen und abgestimmt auf unterschiedliche Zielgruppen. Am Ende steht natürlich immer noch das Original im Mittelpunkt. Dennoch sind digitale Inhalte eine großartige Ergänzung zu unseren regulären Museumsangeboten.
Vom 18. Juni bis 25. September 2022 findet die documenta fifteen statt und wird erstmalig von einem Kollektiv geleitet. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Die documenta ist schon immer auch ein Teil unserer Arbeit gewesen. Die einzelnen Ausgaben der documenta haben bislang auch an MHK-Standorten stattgefunden. Es ist großartig, eine international so bedeutende Kunstschau in Kassel zu wissen und alle fünf Jahre an ihrer Entstehung teilhaben zu dürfen. Die documenta erfindet sich alle fünf Jahre aufs Neue. Jede künstlerische Leitung prägt die Schau auf ihre eigene Weise. Ich bin sehr gespannt auf die Inszenierung von ruangrupa. So etwas hat es noch bei keiner documenta gegeben und ich bin mir sicher, dass auch die fünfzehnte Ausgabe der Weltkunstschau einmalig werden wird.
In diesem Jahr möchten wir gerne auch selber einen Beitrag leisten und zeigen mit „Arnold Bode unframed“ die erste umfassende Retrospektive zum künstlerischen Schaffen des documenta-Gründers. Außerdem wird die documenta fifteen als erste Ausgabe begleitet von einer Dauerausstellung zur Geschichte der documenta in der Neuen Galerie. Das ist für viele Besucher*innen sicherlich eine Bereicherung und weckt bei dem einen oder anderen Erinnerungen an vergangene Kassel-Besuche.
Wie ist der aktuelle Stand für das Projekt Neubau für das Deutsche Tapetenmuseum?
Die Planungen für den Neubau des Deutschen Tapetenmuseums erfolgen in enger Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb für Bau und Immobilien in Hessen (LBIH) als Bauherr des Projektes. Vor der Grundsteinlegung für den eigentlichen Neubau werden ab Frühjahr 2022 die Baustelle eingerichtet sowie die Schadstoffentkernung und -beseitigung im vorhandenen Baubestand begonnen. Ganz besonders wichtig für uns ist in diesem gesamten Prozess, dass wir regelmäßige Einblicke in die kostbare Sammlung des Deutschen Tapetenmuseums ermöglichen können. Dafür bieten sich Sonderausstellungen oder Schaufenster in die Sammlung ganz besonders an und wir können so unterschiedlichste Themen der vielfältigen und spannenden Sammlungsgeschichte herausarbeiten. In diesem Jahr werden wir das durch die Sonderausstellung „OP, POP, TOP! Tapeten der 70er Jahre“ umsetzen, die ab Freitag, dem 8. April im Schloss Wilhelmshöhe zu sehen sein wird. Hier werden wir unsere Besucher*innen in das schrille Jahrzehnt der Flower-Power entführen. Ich kann schon jetzt tolle Tapetenmuster, aber auch Einblicke in den gesellschaftlichen Wandel der Zeit versprechen. Und genau an dieser Stelle machen die Ausstellungen aus unserer Tapetensammlung immer wieder deutlich, dass Tapeten nie einfach nur eine Wandbespannung waren, sondern immer auch ein ganzes Lebensgefühl oder einen Zeitgeist wiedergegeben haben. Es macht einfach Spaß, eine solche Ausstellung zu erarbeiten und umzusetzen. Und wenn wir dann am Ende – wie bei einer noch nachvollziehbaren Zeit wie den 70er Jahren – unseren Besucher*innen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern und Erinnerungen an die eigene Vergangenheit wecken können, dann hat sich die ganze Arbeit gelohnt.
Ab dem 3. Juni zeigt die Neue Galerie ARNOLD BODE UNFRAMED: Zum ersten Mal richtet eine Ausstellung das Schlaglicht dezidiert auf das künstlerische Schaffen Arnold Bodes (1900-1977) und widmet sich damit einer oft übersehenen Facette des documenta-Gründers. Die Ausstellung versammelt mehr als 80 Gemälde, Grafiken und Zeichnungen Arnold Bodes und entsteht als Kooperation der Museumslandschaft Hessen Kassel mit dem documenta archiv, der Kunsthochschule Kassel und der Galerie Rasch. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Mit der documenta gGmbH und auch dem documenta archiv verbindet uns eine langjährige Zusammenarbeit, die von einigen erfolgreichen Ausstellungsprojekten wie beispielsweise im vergangenen Jahr dem „Social Sculpture Lab“ by Shelley Sacks oder der kleinen, aber feinen Ausstellung „Imaging Beuys“ in der Neuen Galerie geprägt ist. Grundsätzlich versuchen wir partizipativen Projekten aufgeschlossen entgegenzutreten. Es gibt so eine vielseitige und bereichernde Kulturlandschaft in Kassel, dass es einfach Freude bereitet, gemeinsame Projekte zu erarbeiten und umzusetzen. Unser Diversitätsmanager ist beispielsweise sehr aktiv in verschiedenen Kasseler Communities. Aus dieser Zusammenarbeit sind so wunderbare Projekte wie die aktuelle Ausstellung im Hessischen Landesmuseum „Ja! Hochzeit in allen Farben“, die Hochzeitsbräuche in unterschiedlichen Kulturen zeigt, entstanden oder auch das Projekt „Im Zeichen der Bohne“, das im letzten Jahr einen Einblick in internationale Kaffeekulturen gegeben hat. All diese Projekte hätten nicht entstehen können, wenn wir nicht die tatkräftige Unterstützung der Kasseler Bevölkerung sowie anderer Kulturinstitutionen aus der Region gehabt hätten. Für das Vertrauen, das uns bei solchen Kooperationen entgegengebracht wird, kann ich mich nur immer wieder bedanken.
Ein weiteres Highlight wird die Wiedereröffnung der Löwenburg am 15. Juli sein. Mehr als zehn Jahre waren die Schauräume für den Besuchsverkehr geschlossen. Was war bei diesem Projekt die größte Herausforderung?
Die Löwenburg ist von Grund auf ein höchst anspruchsvolles Baudenkmal, das in seiner Einmaligkeit auf einer Ebene mit Schloss Neu-schwanstein steht. Als künstliche Burgruine im ausgehenden 18. Jahrhundert erbaut, lies sich Kurfürst Wilhelm I mit ihr einen Repräsentationsbau schaffen, der die historische Bedeutung des Hauses Hessen und seine bis ins Mittelalter zurückreichenden Wurzeln herausstellte. Ein besonderer Höhepunkt in dem gesamten Projekt war die Wiedererrichtung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bergfrieds. Die Besucher*innen erwartet dort eine Aussichtsplattform, die einen noch nie dagewesenen Blick über den Bergpark, Kassel und die Region ermöglicht. Wenn Sie mich fragen: Einfach atemberaubend und ein absolutes Muss für jeden zukünftigen Bergpark-Besuch. Aber auch die wiedereingerichteten Schauräume versprechen ein erstklassiges Besuchserlebnis. Dank frühzeitiger Kriegsauslagerung ist die Ausstattung der Burg weitgehend erhalten. Die einzigartige Sammlung wird derzeit restauriert. Ziel der Restaurierungsmaßnahmen ist es, die instandgesetzten und teilweise rekonstruierten Raumfolgen von 1816 wieder mit dem Original-Inventar auszustatten. Damit wird die Löwenburg für die Besucher*innen wieder so erlebbar sein wie zu Zeiten von Kurfürst Wilhelm I.
Was planen Sie für die Eröffnungswoche?
Am Eröffnungswochenende, dem 16./17. Juli wird es voraussichtlich freien Eintritt für alle unsere Gäste in der Löwenburg geben. Führungen für Groß und Klein durch die Schauräume, auf den Bergfried und in den Außenbereichen werden spannende Einblicke in die Löwenburg und ihre lange Geschichte bieten. Diese werden ergänzt durch ein Magazin, das pünktlich zur Wiedereröffnung erscheint und eine Menge Hintergrundwissen über die Burg mitbringt. Natürlich sorgen wir auch für das leibliche Wohl unserer Gäste und haben schon jetzt Sonnenschein bei sommerlichen Temperaturen für das ganze Wochenende bestellt. Die Wiedereröffnung der Löwenburg ist in diesem Jahr unser Highlight. Die Vorfreude auf das Eröffnungswochenende möchten wir mit unseren Gästen teilen. Beispielsweise bei Vorträgen aus unseren Restaurierungswerkstätten, die an jedem ersten Mittwoch im Monat im Schloss Wilhelmshöhe stattfinden.
Gestatten Sie uns noch ein paar persönliche Fragen. Eine Zeitkapsel beamt Sie in jede beliebige Zeitepoche. Für welche Epoche würden Sie sich entscheiden?
Dann würde ich gerne ins 18. Jahrhundert reisen und dem Kasseler Hofmaler Johann Heinrich Tischbein begegnen. Er ist einer der wichtigsten Vertreter innerhalb seiner großen Malerfamilie. Hier in Kassel besitzen wir eine sehenswerte Sammlung seines Werks. In diesem Jahr wäre er 300 Jahre alt geworden. Dafür widmen wir ihm eine große monografische Sonderausstellung im Schloss Wilhelmshöhe ab dem 21. Oktober.
Was ist Ihre tägliche Inspiration?
Ein Blick aus meinem Bürofenster auf einen der schönsten Arbeitsplätze der Welt.
Was bedeutet Glück für Sie?
Für eine der größten und bedeutendsten Kunst- und Kultureinrichtungen in Deutschland arbeiten zu dürfen. Ich darf meinen Arbeitstag dort verbringen, wo andere Menschen Urlaub machen. Und ich darf mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass unsere Gäste mit einem guten Gefühl aus ihrem Urlaub oder ihrem Ausflug zu einem unserer vielfältigen kulturellen Angebote wieder nach Hause gehen. Diese Herausforderung nehme ich jeden Tag gerne an. Das macht mich glücklich.