Foto: © Sarali Dancers
Der Tänzer Shafiki Sseggayi kommt aus Uganda und schloss dort mit 24 Jahren sein Ingenieurstudium an der Kampala Polytechnic Mengo mit Diplom ab. Parallel zu seinem Studium tanzte er bereits in afrikanischen Companies wie der Latin Favour Uganda, der Keiga Dance Company und der Guerrilla Dance Company und gründete seine eigene Tanzplattform African Clash für Bewegung und Forschung. Nach der Aufführung eines eigenen Solos bei den Tanzwochen in Uganda wurde er in die Niederlande eingeladen, um in der Sytycd Season (So You Think You Can Dance) seine Arbeit zu präsentieren. Später schloss er sein Tanzstudium an der Amsterdamse Hogeschool voor de Kunsten mit dem Bachelor ab. Er arbeitete mit Ultima Vez (Wim Vandekeybus) und war in der Spielzeit 2014/15 Aspirant im Tanztheater. Seit der Spielzeit 2015/16 gehört er als Tänzer fest zum Ensemble. Für seine besonderen künstlerischen Leistungen wurde er in der Spielzeit 2016/17 mit dem Nachwuchspreis der Fördergesellschaft des Staatstheaters Kassel ausgezeichnet. Wir haben ihn zum Interview eingeladen, um mit ihm über Bewegungssprache, seine Plattform und die Neuausrichtung des Repertoires zu sprechen.
Der Tanz befindet sich im ständigen Wandel. Was sind für dich die größten Veränderungen der letzten Jahre?
Ich beobachte eine allgemeine Transformation, nicht nur im professionellen Tanz: Früher waren eher Allrounder gefragt, heute wird eine größere Spezialisierung verlangt. Und ich habe den Eindruck, dass das nicht nur professionelle Companies beim Vortanzen einfordern, sondern auch Tanzvereine, Clubs und Tanzschulen für Laien – und auch das Publikum.
Für mich persönlich hat sich am Staatstheater Kassel, seit Thorsten Teubl in der vergangenen Spielzeit 2021/22 die Tanzdirektion übernommen hat, auch viel verändert: Die Company tanzt seitdem ein von Diversität geprägtes Repertoire. Denn TANZ_KASSEL arbeitet mit einem kuratorischen Modell ohne feste*n Chefchoreograf*in, stattdessen mit immer wechselnden Gast-choreograf*innen. Sie werden eingeladen, jeweils ein neues Stück zu kreieren, und jede:r dieser Gastchoreograf*innen hat einen anderen Schwerpunkt – sei es ein sehr physischer, unmittelbar körperlicher Zugriff oder eine sehr experimentelle Arbeitsweise oder, wie aktuell Andonis Foniadakis in „Urlicht | Primal Light | πρωταρχικό φως“, eine auch vom klassischen Ballett inspirierte Bewegungssprache. In diese so unterschiedlichen Stile einzutauchen ist für mich eine neue, schöne Herausforderung – ebenso wie die Recherchearbeit, in die ich mich in der Vorbereitung jeden neuen Stücks begebe.
Jede*r Choreograf*in hat eine ganz eigene Vorstellung davon, was wie auf der Bühne gezeigt und ausgedrückt werden soll. Dies ist für mich eine großartige Möglichkeit, das Gegenteil von dem zu erleben, was ich als Performer bisher gewohnt war. Für mich ist dabei nur schade, dass die Choreograf*innen jeweils nur für einen relativ kurzen Zeitraum in Kassel sind. Dadurch sind ihre Möglichkeiten zu Feedback und Mentoring, die uns Tänzer*innen bei unserer künstlerischen Entwicklung helfen, begrenzt.
Erzählst du uns bitte etwas über deine eigene Tanzplattform African Clash für Bewegung und Forschung?
Die Online-Plattform African Clash ist im Grunde meine „Bank“ – allerdings nicht für Geldanlagen, sondern für Gedanken, Konflikte und Umsetzungsstrategien. Ich poste dort alle meine künstlerischen Ideen, bevor ich sie in Form von Tanzworkshops oder Choreografien mit anderen teile, so beispielsweise bei b12 Berlin, am Tanzbüro Basel, Physical Days in Bern oder bei Soul Xpressions in Kampala in meinem Heimatland Uganda. Die Plattform hilft mir auch, mehr über die Bewegungen zu lernen, die ich sehe, kreiere und performe – vor allem in Bezug auf meine afrikanischen Wurzeln und wie ich beides miteinander in Verbindung bringen kann.
Seit der Spielzeit 2015/16 gehörst du als Tänzer fest zum Ensemble. Was wirst du nie vergessen?
Nie vergessen werde ich die Tatsache, dass ich im Jahr 2015 meine Bühnenlaufbahn und meine Arbeit als professioneller Tänzer beginnen konnte. Damit ging ein lang gehegter Traum endlich in Erfüllung. So weit zu kommen und dies zu erreichen ist für jemanden wie mich aus Uganda, wo es keine wirklich professionelle Tanzausbildung gibt, nicht selbstverständlich.
Für deine besonderen künstlerischen Leistungen wurdest du in der Spielzeit 2016/17 mit dem Nachwuchspreis der Fördergesellschaft des Staatstheaters Kassel ausgezeichnet. Was bedeutet dir diese Auszeichnung?
Um ehrlich zu sein: Ausgezeichnet zu werden ist immer schön. Aber mich hat die Wertschätzung meiner Arbeit und meines Einsatzes seitens der Fördergesellschaft des Staatstheaters Kassel ganz besonders gefreut, wird doch von uns Darstellenden auf der Bühne permanent verlangt, dass wir immer unser Bestes geben. Diese Anerkennung zu erfahren war ein schönes Gefühl, das ich nie vergessen werde.
Im März feiert die Tanzreihe im TiF Season 2 „Let’s Talk About Bodies in Space“ Premiere und ihr tretet als co-creators in Erscheinung?
Ja, ich bin aber nicht nur co-creator, sondern selbst Choreograf, wie acht andere Kolleg:innen aus dem Ensemble auch. Ich kreiere ein Stück für vier Tänzer*innen und es ist aufregend! Ausgehend von dem Thema des Gesamtabends „Let’s Talk About Bodies in Space“, möchte ich in meinem Stück nicht nur Körper im Raum erforschen, sondern insbesondere die Beziehung zwischen sich bewegenden und statisch verharrenden menschlichen Körpern und künstlichen Skulptur-Objekten. Dafür greife ich auch auf Ideen aus meiner „Gedankenbank“ auf der African Clash-Plattform zurück.
Worauf freust du dich in dieser Spielzeit noch?
Ich freue mich auf jede neue Herausforderung. Ich finde es aufregend, mit permanent neuen Choreograf*innen zusammenzuarbeiten, so auch in unserer letzten Uraufführung in dieser Spielzeit „Battleground“ mit Premiere am 24. Juni 2023 im Schauspielhaus. Denn ich persönlich mag den Rechercheprozess während der Proben zu einem neuen Stück fast mehr, als das Stück dann in Vorstellungen zu tanzen. Ich freue mich mehr auf die kreative Arbeit – das Erforschen, das Fehlermachen, das Entwickeln neuer Dinge – als auf das Resultat, also das Abrufen und Ausführen des zu einer Aufführung Zusammengefügten in den Vorstellungen. Denn die Recherchearbeit lässt mich als Tänzer wachsen, indem ich während des Probenprozesses Grenzen überschreite, neue Gefühle oder neue Aspekte meiner Persönlichkeit entdecke und dann daran arbeiten kann. Nur vorgegebene Bewegungen ausführen zu müssen wäre für mich gleichbedeutend mit künstlerischem Stillstand.
Hast du Vorbilder?
Nun, es kommt natürlich auf den Kontext an, aber ein Vorbild für mich ist meine Ehefrau. Sie stand mir von Anfang an bei der Verwirklichung meines Traums zur Seite: vom Beginn
meiner Ausbildung an bis zu meiner professionellen Tätigkeit als Tänzer heute. Das ist unbezahlbar oder, wie ich in meiner Muttersprache sagen würde: nkwagyes.
Mit welcher Persönlichkeit aus der Gegenwart würdest du gern mal auf der Bühne stehen?
Oh, das ist keine leichte Frage. Auch wenn er schon seit knapp zehn Jahren tot ist: Nelson Mandela. Er war ein herausragender Freiheitskämpfer gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit, eine Persönlichkeit, die alles für die Menschheit getan und gegeben hat.
Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Spaß?
Der ungarische Tänzer, Choreograf und Tanztheoretiker Rudolf von Laban schrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts: „Bewegung ist die Grundbedingung aller Existenz.“ Mir gefällt die Idee, dass unser ganzes Sein aus Bewegung entsteht, Bewegung ist. Die Tatsache, dass wir Tänzer*innen auf der Bühne unsere äußerste Verletzlichkeit, aber genau darin auch unsere größte Stärke zeigen können, dass wir in der Bewegung lebendig sind und uns darin dem Publikum als Menschen offenbaren, lässt mich meine Arbeit genießen – weil es dann keine Mittelmäßigkeit gibt.
Was bedeutet Glück für dich?
Zu leben und als Mitglied der Menschheit, als Mensch, Gleichbehandlung und Gleichberechtigung zu erfahren.
Wir bedanken uns ganz herzlich für deine Zeit, wünschen dir weiterhin eine fulminante Spielzeit und freuen uns auf unvergessliche Tanzabende.