
© Marina Sturm
Die Verlängerung ist durch: Der Opernregisseur und Intendant des Staatstheaters Kassel Florian Lutz wird bis 2031 im Amt bleiben. Sein bis 2026 laufender Vertrag wurde somit um weitere fünf Jahre verlängert. Als er zur Spielzeit 2021/22 seine Intendanz antrat, haben wir ihn schon damals zum Interview getroffen. Seitdem ist viel passiert – Grund genug für uns, ihn erneut zum Interview einzuladen.
Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie die Nachricht über die Verlängerung erreicht hat?
Die Gespräche über die Verlängerung meines Vertrages haben sich ja insgesamt über ein halbes Jahr erstreckt, bis es schließlich zu der Entscheidung und ihrer Veröffentlichung Anfang März dieses Jahres kam. Insofern hatte ich viel Zeit, mir über die verschiedenen Facetten dieser Entscheidung Gedanken zu machen. Zunächst einmal freue ich mich sehr, dass die Träger des Staatstheaters Kassel, das Land Hessen und die Stadt Kassel, weiterhin ein so großes Vertrauen in mich und meine Arbeit als Intendant setzen und den aktuellen künstlerischen und kulturpolitischen Kurs des Hauses für so erfolgreich und zukunftsweisend halten, dass sie ihn fortsetzen möchten. Über diese Wertschätzung bin ich sehr glücklich, denn sie stellt eine große Anerkennung der Arbeit aller Beteiligten am Staatstheater Kassel dar. Dann war es für mich beeindruckend zu erleben, dass in den letzten Tagen und Wochen vor der Entscheidung aus dem Theater selber heraus nicht nur die lautstark vorgetragene kontroverse Ansicht vonseiten des Orchesters vertreten wurde, sondern eine Vielzahl anderer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich so positiv und überschwänglich zu unserer Zusammenarbeit geäußert hat, dass sich für mich das gute und enthusiastische Arbeitsklima bestätigt hat, das ich in den meisten Sparten und Abteilungen des Staatstheaters wahrnehme. Insofern freue ich mich sehr auf die weitere Zusammenarbeit und die nächsten Jahre hier in Kassel und bin dankbar, dass es dieses wundervolle Theater mit den vielen großartigen Menschen gibt und ich Teil davon sein kann.

© Admill Kuyler
Frühmorgendliche Dispo-Sitzung mit dem Künstlerischen Betriebsbüro und Vertreter*innen aus Sparten und Gewerken imOpernfoyer: Hier werden Details der Proben- und Vorstellungspläne besprochen.
In den letzten Monaten gab es gravierende Kommunikationsprobleme unter verschiedenen Beteiligten in Ihrem Haus. Ab dem Sommer wird mit der „Zukunftswerkstatt Staatstheater Kassel“ ein Mediationsverfahren eingerichtet, das nachhaltige Lösungen für die aktuellen Konflikte am Haus entwickeln soll. Was bedeutet das konkret?
Die geplante Zukunftswerkstatt und die moderierten Gespräche, die jetzt in Bezug auf verschiedene Konflikte am Staatstheater Kassel begonnen haben, sind zwei verschiedene Maßnahmen, die ganz unterschiedliche Zwecke verfolgen. Mit der Zukunftswerkstatt sollen die gemeinsame Vision und das Leitbild unseres Hauses abteilungsübergreifend diskutiert und aktualisiert werden, um die künstlerische Ausrichtung des Staatstheaters und die komplexe Kommunikations- und Arbeitsstruktur im Haus noch stärker miteinander rückzukoppeln. Mit den moderierten Gesprächen hingegen versuchen wir eine Verbesserung der konkreten Kommunikations-Probleme zu erreichen, die es in den letzten Monaten zwischen verschiedenen Beteiligten am Haus gab, um die unterschiedlichen Ansichten und Perspektiven, die sich teilweise in öffentlich ausgetragenen Konflikten artikulierten, wieder in einen konstruktiven internen Dialog zu überführen, der das gemeinsame künstlerische Schaffen flankiert und befördert.
Auf das „Pandaemonium“, eine gigantische 360-Grad-Rauminstallation, folgte in dieser Spielzeit die Raumbühne ANTIPOLIS, die die Grenze zwischen Bühnengeschehen und Publikum aufhebt und auf Interaktion und Teilhabe ausgerichtete Inszenierungen ermöglicht. Was dürfen wir als Nächstes erwarten?
Tatsächlich beginnt die Spielzeit 2024/25 im Opernhaus zunächst mit einer Reihe von Inszenierungen in einer klassischen Guckkasten-Bespielung, bei der das Publikum im Parkett und in den Logen sitzt, das Orchester im Graben spielt und das Geschehen auf der Bühne stattfindet. Dank einer großen mobilen Drehscheibe, die wir über den Sommer installieren und anschließend mit in die Ersatzspielstätte übertragen können, wird es hier eine Reihe von Verwandlungsmöglichkeiten geben, die unsere Bühne in den letzten Jahren nicht leisten konnte und die das Publikum insofern mit neuen Bühnenbild-Möglichkeiten und Illusionseffekten überraschen werden. Dann bauen wir Anfang Januar 2025 zur zweiten Hälfte der Saison die Raumbühne wieder auf, die aber ebenfalls von der Drehscheibe profitieren und somit neue Bespielungsvarianten eines konsequenten 360-Grad-Theaters ermöglichen wird. Nach dem großen Erfolg der Raumbühne ANTIPOLIS bei Presse und Publikum freuen wir uns sehr darauf, diesen Raum noch mal weiter zu entwickeln und in ihm zu bislang ungeahnten Inszenierungsformen zu gelangen, bevor dann in der Spielzeit 2025/26 der Umzug in unsere zukünftigen Ersatzspielstätte erfolgt und wir einen neuen Theaterraum beziehen, den wir selber mitkonzipieren konnten und der in seiner modularen und multifunktionalen Grundgestaltung von Anfang an eine neue Dimension von Theater ermöglicht.
Schon bei Ihrem Amtsantritt zur Spielzeit 2021/22 war bekannt, dass das Opernhaus eine Schließzeit zu erwarten hat, weil die Bühnentechnik der Erneuerung bedarf. Nun soll das Musiktheater ab 2025 in einen temporären Bau an der Jägerkaserne ziehen. Worin sehen Sie die größte Herausforderung?
Zunächst mal freuen wir uns sehr, dass es jetzt endlich zu einer politischen Entscheidung für eine konkrete Ersatzspielstätte gekommen ist und danken den Trägern des Staatstheaters, dem Land Hessen und vor allem der Stadt Kassel, für das große Engagement, mit dem seit Anfang dieses Jahres an diesem für unser Haus extrem wichtigen Projekt gearbeitet wird. Aber tatsächlich müssen wir diesen temporären Bau jetzt erst einmal planen und umsetzen, und das ist zurzeit die größte Herausforderung. Es entsteht hier einerseits ein Provisorium, das lediglich für fünf Jahre bespielt werden soll, bis wir dann ins sanierte Opernhaus zurückziehen, und andererseits ein innovatives und nachhaltiges Modelltheater, das nicht nur anschließend weiterverwendet und an andere Theaterstandorte verkauft werden soll, sondern auch eine neue und richtungsweisende Form von Theaterbau darstellt. Die zweite große Herausforderung stellt die Planung unserer nächsten Spielzeiten in dieser Ersatzspielstätte dar, da wir jetzt detaillierte Spielpläne entwickeln und bis auf den Tag genau planen müssen für einen Theaterraum, der noch nicht existiert und der nach ganz anderen Regeln funktionieren wird als unser angestammtes Opernhaus. Und die größte und interessanteste Herausforderung wird dann der Umzug selber – zunächst für alle Abteilungen, die am Opernhausspielplan beteiligt sind und dann für unser Publikum, das diesen neuen spannenden Standort kennenlernen und als zukünftigen Spielort für das Musiktheater in Kassel erleben kann. Ich bin mir sicher, dass die Menschen es am Ende lieben werden, aber bis dahin haben wir noch einen langen Weg und sehr viel Arbeit vor uns.

© Admill Kuyler
Am Rande von „Carmen“: Marlene Pawlak, Regieassistentin und Abendspielleiterin, gibt Mitgliedern des Opernchors letzte Hinweise.
Das Musiktheater widmet die zweite Hälfte der Spielzeit 2023/24 in der Raumbühne ANTIPOLIS dem zeitgenössischen Musiktheater in all seinen Facetten und während eines viertägigen Festivals werden neue Opernformen und die Bandbreite der zeitgenössischen Musik unter den Vorzeichen der Spätmoderne ausgelotet. Vom 04. bis zum 07. Juli findet das Festival „Davon geht die Welt ___ unter“ statt. Was passiert da?
Das viertägige Festival „Davon geht die Welt ___ unter“ widmet sich tatsächlich ausschließlich radikal zeitgenössischem Musiktheater, indem wir sechs Uraufführungen verschiedener Ausmaße zeigen werden. Das kommt so an deutschen Opernhäusern quasi nie vor, weshalb wir uns umso mehr freuen, unsere spätmoderne und krisengebeutelte Wirklichkeit in so unterschiedliche und vielseitige Uraufführungen zu übersetzen. Unsere zwei hauseigenen Uraufführungen „Das Reich der Freiheit“ (Komposition: Philipp C. Mayer) und „Defekt“ (Komposition: Mithatcan Öcal) loten bereits die Krisen unserer Zeit aus – einmal als absurdes Spektakel zwischen Kunstauktion und digitalem Wahnsinn, einmal als dystopische Weltraumoper. In einer groß angelegten Kooperation mit Musikhochschulen und den Theaterakademien in Frankfurt, München, Berlin und Hamburg reagieren dann vier junge Kreativteams, die gerade am Ende ihres Studiums der Regie, Komposition, Dramaturgie, Bühnen- und Kostümbilds angekommen sind, auf die Krisen unserer Zeit. Sie loten unter verschiedenen Vorzeichen ein mögliches Musiktheater der Zukunft aus, integrieren dafür immersiv-subkulturelle Formen, Aktivismus und Dokumentartheater in die musiktheatrale Form oder unterziehen die Oper einer Repertoirebefragung. Das alles bildet neben einer Party in der Raumbühne ANTIPOLIS als Tanz auf dem Pulverfass, einem hochkarätig aufgestellten Diskursprogramm, einem Late-Night-Opernkino und laufendem Barbetrieb den Höhepunkt zum Saisonabschluss am Staatstheater Kassel. Schüler:innen und Studierende bekommen natürlich die gewohnten Rabatte für alle Veranstaltungen, für alle anderen ist der Festivalpass für alle Veranstaltungen für nur 60 € ein Angebot, das Musiktheaterbegeisterte nicht ausschlagen sollten.
Kürzlich haben Sie und Ihr künstlerisches Leitungsteam den Spielplan 2024/2025 präsentiert. Ihre persönlichen Highlights?
In der kommenden Spielzeit beginnen wir im Musiktheater mit „Katja Kabanowa“ von Leoš Janáček in der Regie von Christiane Pohle, die sich hier bereits mit „Operation Abendsonne“ vorgestellt hatte und nun zurückkehrt, um die klaustrophobische patriarchale Enge, mit der Katja konfrontiert ist, in einem hyperrealistischen Raum zu erforschen. Die zweite Spielzeithälfte in der Raumbühne eröffnet dann Sebastian Baumgarten mit einem Stoff, der überzeitlicher und weltumspannender kaum sein könnte: „Faust“ nach der légende dramatique von Hector Berlioz. Baumgarten war am Staatstheater Kassel lange Oberspielleiter und Regisseur und hat mit seinen legendären Regiearbeiten von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ und Wagners „Parsifal“ für Furore gesorgt. Darüber hinaus bauen wir unseren Förderschwerpunkt Musical in Zusammenarbeit mit unserem Kinder- und Jugendchor CANTAMUS weiter aus. Das Regieteam um Regisseurin Marlene Pawlak, das hier bereits mit „Emil und die Detektive“ das Publikum von Jung bis Alt begeisterte, setzt „School of Rock“ mit Musik von Andrew Lloyd Webber auf die Raumbühne. Wir fördern hierfür die Kinder und Jugendlichen in den Bereichen Gesang, Schauspiel und Tanz und setzen so die Reihe unserer fantastischen Kindermusicals fort. Und auch mit TANZ_Kassel machen wir wieder gemeinsame Sache, wenn wir spartenübergreifend das Mozartrequiem „Selig sind die Toten“ mit dem Choreografen Antonio Ruz produzieren. Außerdem freue ich mich besonders auf Andonis Foniadakis und Eyal Dadon, die sich als Choreografen mit der Komposition „Der Tod und das Mädchen“ von Schubert auseinandersetzen. Im Schauspiel folgt in der kommenden Spielzeit die dritte Arbeit von Stef Lernous hier in Kassel. Nach „Die Verwandlung“ und „Die Physiker“ freue ich mich besonders auf die Performance „Hotel Chelsea“, die sicher ebenso mit Lernous unvergleichlichem düsteren Humor überzeugen wird. Daneben kommen etliche tolle Produktionen des JUST+ auf unsere unterschiedlichen Bühnen unter der Beteiligung der Stadtgesellschaft und auch die Konzertsparte fährt voll auf, u. a. mit Mahler, Bruckner und Schostakowitsch.
Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Zeit und freuen uns auf das Festival „Davon geht die Welt ___ unter“ und natürlich auf die neue Spielzeit 2024/2025.