Da darf schon lange niemand mehr hinein. © Rolf Hiller
Erst nachdenken, dann noch einmal nachdenken und dann den Mund halten. Das war einer der halb ironischen Sprüche meines Kunstlehrers auf dem Mainzer Gutenberg-Gymnasium. Gründlich nachdenken und dann erst verkünden schadet indes nie, wie es wieder einmal Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in dieser Woche erfahren musste. Vollmundig hatte er versprochen, dass sich jede*r ab dem 1. März kostenlos testen lassen könne, u.a. in Apotheken, die sich dazu überhaupt nicht in der Lage fühlen. Wer wollte es dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) verdenken, dass ihm auf einer internen Veranstaltung seiner Partei der Geduldsfaden riss. Er erwarte beim nächsten Bund-Länder-Treffen am kommenden Mittwoch ein „furchtbares Durcheinander, ein wildes Gekläffe – vom Kanzleramt bis nach Bayern und zurück, und am Ende Herr Drosten und Herr Wieler und die Leute werden wahnsinnig“. Bravo! Solche Worte hätten wir von einem Merkel-Vertrauten beileibe nicht erwartet. Bouffier hat den weit verbreiteten Frust im Lande auf den Punkt gebracht - alles scheint bei uns langsamer zu gehen: Impfen, Testen, Öffnen und Digitalisieren.
Je genauer man hinschaut, um so mehr irritiert das Durcheinander. Millionen Dosen des Impfstoffs von AstraZeneca liegen irgendwo in Kühlschränken herum, weil über dieses Vakzin (unwahre) Vorurteile kursieren. In Israel stellen sich die Leute abends vor den Zentren an - und werden dann mit dem am Tage nicht gebrauchen Stoff geimpft. Das wäre hierzulande undenkbar. Wenn die C-Krise eines lehrt, dann ist es, flexibel auf neue Situationen zu reagieren. Dass Schüler*innen im Wechselunterricht vormittags getrennt werden und dann nachmittags im Hort miteinander herumtollen, vermag niemand nachzuvollziehen. Oder doch? Schulen sind Ländersache, Horte unterstehen den Kommunen. Dabei treibt der Föderalismus in den Zeiten der Pandemie allein schon seltsame Blüten. In Sachsen findet trotz hoher Inzidenzen in den Klassen ein normaler Unterricht ohne Masken statt, in Meck Pom machen am 1. März - also zwei Tage vor dem nächsten Corona-Gipfel - die Gartenmärkte wieder auf und die Kosmetiksalons. Wer behält bei diesem "furchtbaren Durcheinander" noch den Überblick?
Derweil plant das Rheingau Musik Festival vom 26.06. - 05.09. die nächste Saison mit 192 Konzerten, unbeeindruckt von der pandemischen Kakophonie. Großartig! Und auch die Berlinale lässt sich nicht unterkriegen. Heuer zerfällt das "größte Kulturereignis Berlins, wenn nicht Deutschlands" (Tagesspiegel) in zwei Teile. Vom 1. bis 5. März wird eine digitale Plattform für die Branche angeboten, zu der ansonsten nur Kritiker*innen zugelassen sind; es gibt den Wettbewerb und einige Reihen. Das Publikumsfestival - ganz wichtig bei der Berlinale - soll dann vom 9. bis 20. Juni stattfinden. Erstmals wird in diesem Jahr ein genderneutraler Preis für die beste schauspielerische Leistung vergeben. Es gibt also nur einen Silbernen Bären für die beste Schauspielerin oder den besten Schauspieler. Da kommt noch mehr Vorfreude auf!
Erk Walter
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