Courtesy BOLOHO
One Day At BOLOHO Space In Guangzhou, Farbdruck eines Holzschnitts von BOLOHO, 2021
Das ist das Wort dieses Kunst-Sommers: lumbung. Das ist der indonesische Begriff für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune. Unter dieses Motto hat das Künstlerkollektiv ruangrupa die documenta fifteen gestellt, die bis zum 25. September Kassel aus dem Dornröschenschlaf erweckt und in eine internationale Kunstmetropole verwandelt. Im Vorfeld gab es heftige und erbitterte Diskussionen, aber bei der Eröffnung fürs Fachpublikum ist davon nichts zu spüren, die meisten sind beeindruckt & verzaubert wie Kathrin Bode (Redaktionsleiterin von FRIZZ Das Magazin für Kassel): "Selbst Petrus liebt die documenta: Bei strahlendem Sonnenschein begannen am Mittwoch die Previewtage der documenta fifteen. Die Atmosphäre der Veranstaltung – energiegeladen, begeistert und voller Dankbarkeit und Erleichterung, dass die Ausstellung trotz Pandemie nun wirklich stattfinden wird. Der abendliche Presseempfang im Kasseler Auestadion stand ganz im Zeichen von nongkrong (indonesischer Slang-Begriff für „gemeinsam abhängen“). Ungezwungen und ausgelassen trafen Weltpresse und Kasseler Gesellschaft auf die künstlerische Leitung, das indonesische Kollektiv ruangrupa, und zahlreiche Künstler:innen."
Eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, das ist eine schöne Metapher für unsere Erde, von der es bekanntlich keine Version 2.0 geben wird. Wir müssen vor allem den Kipp-Punkt der Erderwärmung, den Point of no Return, noch verhindern. Danach sieht es leider nicht aus. Autokratische & populistische Politiker - es sind fast nur Männer (!) - weltweit scheren sich einen Dreck um die Fakten, setzen unbeirrbar weiter auf fossile Energien und hinterlassen buchstäblich verbrannte Erde und versunkene Länder. Was kann die Kunst dagegen bewirken? Unverdrossen erinnert sie sui generis an Alternativen, gelegentlich sogar ganz konkret. Joseph Beuys' prophetisches Projekt einer "Stadtverwaldung" stieß bei der documenta 7 (1982) anfangs auf entschiedene Ablehnung der Kasseler Gesellschaft. 7.000 Eichen sollten in der Stadt gepflanzt werden, 1987 konnte das visionäre Vorhaben abgeschlossen werden. In Madrid wird gerade Europas größter Klima-Schutzwall aus 500.000 Bäumen gepflanzt.
Nicht minder sympathisch als lumbung hört sich nongkrong an, aber das gemeinsame Abhängen ist in Zeiten der Pandemie nicht ohne Risiko. Die Zahlen steigen wieder, und der Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist wieder in seine liebste Rolle geschlüpft: als Mahner & Warner. Wie recht er hat, verdeutlicht ein Fall aus meinem direkten Umfeld. Ein junger, sportlicher Mann hat sich angesteckt und wurde gestern mit 40,13 Grad Fieber regelrecht niedergestreckt. Ängstlich ist er nicht, vorsichtig aber schon und dreimal mit BionTech geimpft. Das Corona-Virus bleibt tückisch und unberechenbar, in welcher Variante auch immer. Das scheinen die meisten Menschen schon wieder vergessen zu haben. Bei der Premiere des schlicht "Konzert" genannten Programms des wundervollen A-cappella-Trios "Muttis Kinder" in der Berliner "Bar jeder Vernunft" - sie feiert gerade ihren 30. Geburtstag - trug außer uns nur eine Besucherin im Spiegelzelt eine Maske. Diese Leichtfertigkeit ist bar jeder Vernunft. Der nächste Winter kommt bestimmt und keine:r hat's gewusst.
Erk Walter
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