© Nicole Marianna Wytyczak
Spektakuläre Bilder: “Ophelia’s Got Talent” von Florentina Holzinger in der Berliner Volksbühne
Ausverkauft! Das Interesse an der Performance in der Berliner Volksbühne ist riesig; jede:r hat etwas gehört über das neue Stück von Florentina Holzinger und möchte das Spektakel erleben. Im Jahrbuch 2023 der Fachzeitschrift “Theater heute” wurde “Ophelia’s Got Talent” zur Inszenierung des Jahres gewählt. Unsere Erwartungen sind hoch, hätten allerdings durch die “Kranetude” etwas gedämpft werden sollen. Florentina Holzinger schafft spektakuläre Bilder, zudem schrecken ihre immer nackten Tänzerinnen vor nichts zurück. Bilder schaffen indes noch kein Stück. Wie bei “Kranetude” werden von “Ophelia’s Got Talent” einzelne Szenen in Erinnerung bleiben, etwa wenn die Crew mit einem Helikopter kopuliert. Dass dann literweise Sperma ins Schwimmbecken darunter platscht, versinnbildlicht das Problem der Ideen von Holzinger: Sie sind zu plakativ. Mit einer furiosen Casting-Show beginnt der Abend, in dessen Verlauf sich die Nackerten schon einmal einen Haken durch die Wange ziehen oder eine Magensonde einführen; das Publikum darf sich über einen Fisch im Bauch der Tänzerin freuen. Eine Captain Hook führt durch die Wasserperformance, die immer länger & beliebiger wird.
Mein Nachbar schaut häufiger nach der Uhrzeit. Es regnet Plastikflaschen ins Wasserbecken, das sich zuvor rot gefärbt hat; natürlich darf Schillers “Taucher” nicht fehlen. Zwei Tänzerinnen haben Trisomie 21, eine Kleinwüchsige ist mit ihrem Rollator dabei. Am Ende tanzen ein paar Teenager-Mädchen zu stampfenden Beats, wo kurz zuvor noch düstere Bilder das Geschehen prägten. Florentina Holzinger erzählt von ihrer Magersucht in der Jugend, nur noch Wasser habe sie getrunken. Irgendwann ging es um Leben und Tod. Grunge war die Musik der Stunde, Kurt Cobain mit der Band Nirwana ihre Ikone; er brachte sich 1994 um. Womöglich liegt in ihrer Biographie der Schlüssel zu “Ophelia’s Got Talent” - Frauen werden durch die Gesellschaft zu Opfern. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, meistens vom Partner. Insofern lässt sich Holzingers Arbeit als Empowerment der Frauen deuten. Weniger wäre indes mehr gewesen. Wir hielten durch bis zum Ende; ein paar Wenige verließen die umjubelte Vorstellung schon vorher.
Rechtfertigt dieses Ergebnis den immensen Aufwand der Produktion? Nimmt man den Hype als Maßstab, unbedingt; erwartet man von Kunst aber mehr als Spektakel, sicherlich nicht. Bestimmt war das Gros im Publikum für eine konsequente Reduzierung unseres Energieverbrauchs. Eines Tages wird die CO2-Bilanz eines solchen Events ausgewiesen, eines Tages muss der ganze Kultur-Jet-Set auf den Prüfstand. Vielleicht wird es dann einen bundesweit vereinbarten Gesamtverbrauch geben, und die einzelnen Veranstalter beginnen einen munteren Tauschhandel mit ihren Kontingenten. Das wäre vergleichbar mit dem novellierten Bundesklimaschutzgesetz – nicht mehr das einzelne Ressort muss seine Klimaziele einhalten, sondern die ganze Regierung. Kollektive Verantwortungslosigkeit hat noch nie geholfen.
Erk Walter
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