© Rolf Hiller
Bis hierher und nicht weiter: Hinter dem Seil beginnt das Naturschutzgebiet.
Mitten in der Nacht schreckt mich der Heulton der Sirenen auf; flackerndes Blaulicht ist zu sehen. Auf dem Feldweg stehen zwei Feuerwehrautos und der Polizeiwagen der Insel. Der Einsatz scheint schon beendet zu sein. Was passiert ist, werden wir erst am nächsten Tag erfahren. Ein junger Mann aus dem Haus gegenüber feierte mit ein paar Freunden. Weit nach Mitternacht machten sie dann vor dem Haus ein Feuer, um alte Sachen abzufackeln. Eine Schnapsidee. Die Flammen schlugen hoch; ein Nachbar rief die Feuerwehr. Es ging glimpflich aus. In den letzten Tagen hatte es immer wieder geregnet, und der Wind kam von Westen. Wäre es trocken gewesen und der häufig drehende Wind wäre von der anderen Seite gekommen, hätte eine Katastrophe passieren können. Viele Häuser in der Nähe der Brandstelle haben ein Reetdach und hätten leicht Feuer fangen können. Seine Fahrlässigkeit kommt den Burschen teuer zu stehen: er muss den Einsatz der Feuerwehr bezahlen.
Am nächsten Tag ist die Welt scheinbar wieder in Ordnung. Wir fahren mit dem Rad zur Nordspitze der Insel und machen vom Dornbusch einen langen Spaziergang am Strand entlang bis ans Ende der Welt. Hier beginnt das nur mit einem alten Seil abgetrennte Naturschutzgebiet des Neubessin. Bei den Sturmfluten im Herbst und Winter wird immer Sand von der Steilküste abgetragen und hier angespült. Man wähnt die Veränderungen mit bloßem Auge zu erkennen. Einst werden wohl Rügen und Hiddensee zusammenwachsen. Vor diesen gewaltigen Naturprozessen relativieren sich die politischen Verhältnisse. Bei der Wahl zur Gemeindevertretung spielen die traditionellen Parteien allesamt kaum eine Rolle; dieses Phänomen kann man inzwischen in vielen Gemeinden und kleinen Orten beobachten. Welche Interessen die Akteur:innen vertreten, ist von außen schwer zu beurteilen. Die Insel muss sich weiter entwickeln, ohne sich wie die Balearen und Kanaren dem Tourismus auf Gedeih und Verderb auszuliefern.
Dagegen gibt es am Ausgang der Europawahl nichts zu deuteln. Gewonnen haben in Deutschland die Union und die Populisten, deren einfache Antworten auf komplizierte Fragen gerade in Ostdeutschland und bei jungen Wähler:innen verfangen. Der Jugendstudie 2024 nach blicken sie ”so pessimistisch wie nie” in die Zukunft. Ihre Erfahrungen in der Corona-Zeit, der Ukraine-Krieg, die immer konkreteren Folgen des Klimawandels, Angst vor Altersarmut und Wohnungsnot in den Großstädten – die Leichtigkeit der frühen Jahre ist dahin. Viele Menschen in Ostdeutschland sind hingegen fest von ihrer Opfererzählung überzeugt. Ficht das den Kanzler ohne Nerven gar nicht an? Heute, am 14. Juni, feiert der sogenannte Scholzomat seinen 66. Geburtstag und hört vielleicht sogar den bekannten Song von Udo Jürgens mit diesem Titel. Es steht nicht gut um die SPD und um das Land, dem er als Kanzler verpflichtet ist. Hört er nicht die Sirenen?
Erk Walter
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