Die letzte Printausgabe, die an einem Sonntag erschien.
Nun sind die Zeiten vorbei, als sonntags noch eine Zeitung im Briefkasten steckte. Jetzt musste auch der Berliner Tagesspiegel seine Sonntagsausgabe einstellen – die Zustellung nur eines Blattes durch einen Träger ist selbst in der Großstadt nicht mehr kostendeckend. Damit vollzieht der Verlag eine Wende, die andere Häuser schon hinter sich haben. Die Sonntagszeitungen werden schon am Samstag zugestellt und sind im Handel noch die ganze Woche im Angebot. Längst setzen viele Verlage auf digitale Abos, die mittlerweile 50 % der verbreiteten Auflage darstellen. Ein Blick auf die Zahlen bei der IVW (Interessengemeinschaft zur Verbreitung von Werbeträger e.V.) ist sehr aufschlussreich. Der Tagesspiegel (Mo – So) in Berlin meldet eine Druckauflage von knapp 69.000 Exemplaren. Die meisten davon sind Abos, im Handel werden 5.000 abgesetzt, bei einer Remission von 10.000 Exemplaren. Mit dem digitalen Abo – es macht schon über 50% der Verbreitung aus – kommt das selbst erklärte “Leitmedium aus der Hauptstadt auf eine Verbreitung von knapp 110.000 pro Ausgabe.
Natürlich hat ein digitales Abo viele Vorteile. Es wird Energie und Papier gespart, obwohl die schöne, neue Welt keineswegs ohne Strom funktioniert. Mit 10% des weltweiten Stromverbrauchs ist laut statista die CO2-Emission des Internets inzwischen fast so hoch wie die von Japan; das Netz liegt im weltweiten Ranking auf Platz 6. Ganz vorne mit dabei die Tech-Giganten aus dem Silicon Valley, etwa Facebook, wo sich die jungen Leute schon längst nicht mehr treffen. Dort führt ein Freund, der vor über sechs Jahren gestorben ist, weiter eine digitale Existenz. Bereits vor fünf Jahren habe ich auf seiner Seite darauf hingewiesen, dass Sebastian gestorben ist. Das ficht seine sog. Freunde nicht an, die ihn diese Woche wieder zum Geburtstag gratulieren. Dass er seit Jahren nicht mehr antworten kann, scheint niemandem aufzufallen. Da nur Verwandte das Recht haben, die Löschung einer Seite zu veranlassen, wird das wohl Jahr für Jahr so weitergehen.
Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier, und längst haben wir uns an die bedrückenden Meldungen aus dem Gazastreifen oder aus der Ukraine irgendwie gewöhnt. Nicht minder stoisch nehmen wir die Nachrichten über die Erderwärmung zur Kenntnis, als ginge uns das irgendwie nichts an. Nach dem wärmsten Februar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen folgte der wärmste März. Das Plus liegt je nach der Bezugsgröße bei 2,9 bzw, 4 Grad über dem Vergleichszeitraum, und wir leben unbekümmert so weiter wie bisher. Die Touristiker freuen sich, und der oberste Lobbyist der deutschen Automobilindustrie sitzt in der Regierung. Volker Wissing (FDP) behauptet, ein Tempolimit, das ohne nennenswerte Einschränkungen jährlich 600 Millionen Liter Kraftstoff sparen würde, sei hierzulande nicht durchzusetzen, obwohl inzwischen die Mehrheit der Deutschen inzwischen dafür ist. “Gib Gas, ich will Spaß” trällerte Markus 1983. Lustig war das schon damals nicht.
Erk Walter
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