© Rolf Hiller
Ende einer Landpartie: Die DS ist zurück in Berlin-Kreuzberg.
Mit Autos habe ich schon lange nichts mehr am Hut; sie fallen mir im Straßenverkehr höchstens negativ auf. Oldtimer hingegen beachte ich schon, ganz besonders natürlich die schönste Limousine der Welt von Citroën, denn mit ihr sind viele Kindheitserinnerungen verbunden. Die Präsentation der DS auf dem Pariser Autosalon 1955 muss eine Sensation gewesen sein. "Der neue Citroën", schrieb Roland Barthes in seinen "Mythen des Alltags" 1957, "fällt ganz offensichtlich insofern vom Himmel, als er sich zunächst als ein superlativistisches Objekt darbietet." Mein Vater kaufte 1960 seine erste ID, die etwas einfachere und günstigere Version. Alle vier Jahre gab es ein neues Modell; 1972 bekamen wir sogar eine DS. Unvergesslich die Reisen nach Dänemark in dem eleganten Auto mit der herrlichen hydropneumatischen Federung. Für Fussball interessierte sich der Vater nicht die Bohne, aber das legendäre Endspiel in Wembley 1966 zwischen England und Deutschland hörten wir in der ID. Genauso erinnere ich mich an die Mondlandung drei Jahre später, die ich mit dem Vater vor dem Ferienhäuschen im Autoradio verfolgte.
Eine Landpartie mit einer DS Pallas mit edlen Ledersitzen macht einen Heidenspaß, nicht bloß uns. Kaum parken wir irgendwo, wird das Auto auch schon bestaunt - die Göttin ist aber ein Männerding. Einer erzählt, sein Vater habe sich immer nur Käfer leisten können; ihm stehen Tränen in den Augen. Von den Brandenburger Ruckelpisten merken wir nichts, die hydropneumatische Federung schluckt alles. Ein junger Fahrer in einem Riesentraktor hebt anerkennend den Daumen, ein Tattoogirl quietscht "geil", als wir an einer Ampel halten. Natürlich habe ich meine Holzlatschen dabei, wie sie der Vater im Sommer immer trug, und unser Shell-Atlas von 2015 liegt auf der Rückbank. Als wir ihn vor ein paar Jahren an einer Shell-Tankstelle kauften, fragte der junge Bursche im Service, was das denn sei. Heute fahren wir alle mit Google oder Navi und "zahlen" jede Fahrt mit unseren reichlich Daten.
Der Vater tankte immer bei Shell, weil er glaubte, dieses Benzin sei besser als andere Marken. Der Verbrauch war damals noch kein Thema. Niemand hätte es in dieser Zeit für möglich gehalten, dass wir uns 60 Jahre später mit bedrohlicher Geschwindigkeit dem Kipp-Punkt nähern, ab dem die Erderwärmung außer Kontrolle gerät. Gestern - am 28.07.2022 - war der Erdüberlastungstag, d.h. ab diesem Tag verbrauchen wir mehr Ressourcen als sich reproduzieren können; Deutschland erreichte diese Schwelle bereits am 04.05.22. Wir leben über unsere Verhältnisse; die steigenden Energiepreise treffen viele Menschen existenziell, während sich einige Konzerne dumm & dämlich verdienen. Shell verbucht allein im zweiten Quartal einen Gewinn von 20 Milliarden Dollar! Es ist höchste Zeit, auch in Deutschland eine Übergewinnsteuer einzuführen. Tabus darf es in einer Krise nicht geben. Bei dieser Gelegenheit sollte gleich eine Vermögensabgabe verabschiedet werden. "Als das Wünschen noch geholfen hat" von Peter Handke erschien 1974. Das genügt schon lange nicht mehr!
Erk Walter
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