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Das absurde Theater findet woanders statt: Standing Ovations für Dieter Hallervorden in „Der König stirbt“.
Der ICE ist auf der Rückfahrt von Frankfurt so voll, wie ich es in den letzten zwei Jahren nicht mehr erlebt habe. Viele kauern vor den Türen, andere arbeiten auf dem Boden vor dem Speisewagen. Zum Glück gilt in den Zügen der Deutschen Bahn weiter die Maskenpflicht. Meine Corona Warn App steht jetzt immer auf rot. Bei der vollbesetzten Premiere „Der Schatzgräber“ von Franz Schreker in der Deutschen Oper Berlin darf jede:r wählen, ob er/sie die gefeierte Inszenierung mit oder ohne Mund-Nasen-Schutz erleben möchte. Wir gehören zur Fraktion Vorsicht und tragen die Maske freiwillig auch im Schlossparktheater. Wir wollen den 86jährigen Prinzipal Dieter Hallervorden auf der Bühne erleben. Geboten werden soll „gute Unterhaltung“ mit dem Stück „Der König stirbt“ von Eugène Ionesco, Wikipedia zufolge „ein verschlüsselter Abgesang auf Frankreichs endende Rolle als einst stolze Kolonialmacht“. Anspielungen auf die aktuelle politische Lage lägen eigentlich auf der Hand, aber die Regie von Philip Tiedemann setzt auf Klamauk und einen lieben & altersmilden König. Das Publikum dankt begeistert und feiert Dieter Hallervorden mit Standing Ovations.
Locker in Berlin, streng in Frankfurt. Maskenpflicht und Schachbrettbelegung der Sitzplätze in der Deutschen Nationalbibliothek bei der Eröffnung des Festivals „Frankfurt liest ein Buch“ , das unser Verlag seit Jahren als Medienpartner begleitet. Heuer steht der Roman „Nach Mitternacht“ von Irmgard Keun im Zentrum der vielen Veranstaltungen. „Der beste satirische Roman über Nazideutschland“ (Arthur Koestler) spielt 1936 an zwei Tagen in Frankfurt, als Hitler auf dem Opernplatz eine Ansprache hielt, und schildert die komplexen Ereignisse aus der Perspektive einer jungen Frau. Die Autorin hat eine meisterhafte Begabung, kurz und prägnant zu beschreiben; sie beobachtet hellwach, wie der Faschismus das soziale Leben verändert und prägt. Der Nationalsozialismus wurde dem deutschen Bürgertum nicht aufgezwungen, sondern war dessen „rabiat gesteigerte Konsequenz“ (Heinrich Detering im Nachwort der schönen Neuausgabe). Die Verfilmung des Romans von Wolf Gremm aus dem Jahr 1981 trifft weder jenen lakonischen Ton noch wird sie der Komplexität der Vorlage gerecht. Das kleine Fernsehspiel zieht sich im Deutschen Filminstitut, mehrfach schaue ich auf die Uhr. Immerhin erfährt das Publikum im gut besuchten Kino (Maske, Schachbrett) vor Beginn der Vorführung von einem neuen Angebot im Herbst: „Frankfurt sieht einen Film“, der an einem Tag mit Rahmen-Programm in verschiedenen Kinos laufen soll.
Was mag bis dahin passiert sein? Wird uns die Pandemie wieder „unvorbereitet“ erwischen? Ist der Krieg gegen die Ukraine dann zu Ende, der nun schon bald ein viertel Jahr das Land verwüstet? Festhalten lässt sich im Moment, dass die Sanktionspakete der EU Russland nicht nachhaltig beeindruckt haben; gleiches lässt sich von den Offenen Briefen sagen, die jetzt hierzulande kursieren. Die ganze Absurdität der Lage verdeutlicht, dass russisches Gas durch die Ukraine geleitet und mit Duldung der Russen von Deutschland aus an die Ukraine weiter verkauft wird. Was nützt und schadet wem? Dass der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier nun doch eingeladen wurde, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky in Kiew zu besuchen, ist ein gutes Zeichen in dunkler Zeit. Sein Besuch hat mehr Gewicht als die Reise des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der sich vor allem aus wahltaktischen Gründen im Kriegsgebiet blicken ließ. Am Sonntag wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag; der Ministerpräsident & Merkelianer Daniel Günther, der seit 2017 eine Jamaika-Koalition führt, liegt in den Umfragen vorne. Schiff ahoi!
Erk Walter
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