© Rolf Hiller
Nächtlicher Einsatz der Feuerwehr.
War es nur ein Traum? Unterschwellig höre ich in der Nacht Geräusche einer Motorsäge, werde aber nicht richtig wach und schlafe erst einmal weiter. Kurz vor zwei Uhr stehen wir auf dem Balkon. Die Feuerwehr hat ihren Einsatz fast schon beendet. Die Straße ist wieder frei, nur der Stamm, der auf der Motorhaube eines BMW liegt, muss noch zersägt werden. Die Linde von gegenüber, die schon länger bedenklich schief stand, stürzte nach einem heftigen Gewitter um. Der Baum kippte über die Straße auf unsere Linde, für deren Pflanzung wir 2013 gesammelt hatten. Ganz schief habe sie gestanden, sich aber rasch wieder aufgerichtet, nachdem die Feuerwehrmänner den Baum von gegenüber zersägt hatten. Sicher hat auch der SUV die Wucht des Sturzes vermindert, sonst wäre wohl unsere Linde - und womglich nicht nur sie - zerschmettert worden.
Unser Haus und der Vorgarten wurden nicht beschädigt; trotzdem werden unsere Rosen und die Magnolie das Ereignis vielleicht nicht überstehen. Die gewaltigen Äste des zersägten Baumes warfen die Feuerwerker in den Vorgarten – die Straße musste wieder freigemacht werden. Durften die das? Ja, meint die kundige Nachbarin. Der Vorgarten gehöre nicht zum Hausgrundstück, sei also Straßenland und damit öffentlicher Raum. Für den Abtransport ist das Grünflächenamt zuständig. Telefonisch ist kein Durchkommen. Eine andere Nachbarin hatte das Amt vor Wochen schon auf die bedenklich schiefe Linde hingewiesen – keine Reaktion. In Berlin gibt es ungefähr 450.000 Straßenbäume. “Die bekommen beim Grünflächenamt keine Leute”, meinte der Einsatzleiter der Feuerwehr in der Nacht. Was ist ein Lindensturz, bei dem niemand zu Schaden kam, gegen die Katastrophenmeldungen in den Nachrichten heute: Starkregen in Süddeutschland, Waldbrände auf Teneriffa und schlimmer denn je in Kanada. Trotzdem ist Betroffenheit immer konkret.
Plötzlich nimmt die Lage einen unerwarteten Verlauf. Ein Team vom Grünflächenamt unseres Bezirks erscheint schon am frühen Vormittag, prüft die Schäden; und die Leiterin verspricht, dass binnen einer Stunde das Aufräumen beginnt. Sie gibt uns die kleine Schieferplatte zurück, die wir am Stamm befestigt hatten. Gewidmet haben die “Freunde der Jenaer Linde” den Baum Meier Spanier und seiner Frau Charlotte aus unserem Haus; sie waren 1942 vor der Deportation in den Tod geflohen. Nach der Expertise der Dame vom Grünflächenamt waren die Wurzeln der 2013 gepflanzten Linde in der Nacht abgerissen, eine Regeneration ausgeschlossen. Sie versprach, dass beide Bäume ersetzt würden. Dieser Einsatz und dieses Versprechen der vielgescholtenen Berliner Verwaltung stimmen zuversichtlich. Nicht alles läuft schlecht in dieser Stadt, in diesem Land. Mir geht der Song “Mein Freund, der Baum” von Alexandra durch den Kopf.
Erk Walter
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