Oft bin ich an dem kleinen Reisebüro vorbeigelaufen; nun ist das "Babylon" leer. Wieder ein Laden weniger in unserem Kiez. Daran werden wir uns gewöhnen müssen, auch daran, dass der stationäre Einzelhandel schrumpft. Selten sehe ich Kundschaft in den kleinen Boutiquen, die sich ihre Hinweise auf die erlaubte Anzahl der Kunden eigentlich sparen können - es kamen schon vor der C-Krise zu wenige. 3 Millionen Menschen arbeiten im Tourismus, die wenigsten sind systemrelevant wie die "Lufthansa", die jetzt mit Milliarden vom Staat vor der Insolvenz gerettet werden soll. Das "Babylon" hat im letzten Jahr sicher keine Dividenden ausgeschüttet und dürfte auch keine Tochtergesellschaften auf den Cayman Islands unterhalten haben.
Restaurants haben bestimmt bessere Chancen als winzige Reisebüros, sofern sie sich an die strikten Vorgaben halten, die nach der Wiedereröffnung letzte Woche gelten. Wir sind gespannt und gehen das erste Mal nach zwei Monaten wieder essen. Zur Sicherheit habe ich vorher reserviert, denn früher hätte man an einem Feiertag keinen Platz bekommen. Das Lokal ist gut besucht, aber es hätte noch genug freie Plätze gegeben. Wir schreiben unsere Kontaktdaten auf - "wenn Sie möchten". Ansonsten ist alles wie immer, nur dass fast alle Kellner Masken tragen, allerdings nicht im Gesicht, sondern unter dem Kinn: ein lustiges Bartlätzchen. Wir bestellen wie immer (!) und sind erstaunt, wie lässig in diesem Restaurant die C-Regeln interpretiert werden. Fahrlässig! "Das Leben mit Corona wird ein Leben mit dem Risiko werden", schreibt die Süddeutsche Zeitung vom Tage. Das Essen war gut wie immer; wir werden dieses Restaurant dennoch erst einmal nicht mehr besuchen.
Einen zweiten Lockdown können wir uns nicht leisten. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHT) rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr um 10%. Es droht weltweit die schlimmste Rezession seit 1929; selbst Queen Elisabeth dürfte sich daran nicht mehr erinnern. In Zeiten wie diesen grassieren natürlich aberwitzige Phantasien. Gerade deutsche Rapper überbieten sich derzeit mit ihren Wahnvorstellungen. Von Tunnelsystemen bis New York geht die Rede, von "kinderbluttrinkenden Superreichen" (Kollegah), von Zwangs-Impfungen mit Chip-Implantation, von lückenloser Kontrolle und Weltherrschaft. Das Netz eignet sich leider bestens dafür, noch jeden Unfug zu verbreiten. Krankzinnigheid. So heißt auf Niederländisch Wahnsinn.
Erk Walter
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