© Rolf Hiller
Reisen ist in diesen Tagen ein riskantes Unterfangen. Nicht auszudenken, ich müsste noch analog, also ortsgebunden arbeiten. Wegen des sechsten Streiks der GdL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) musste ich einen Tag früher nach Frankfurt, auch bei der Rückfahrt galt es umzudisponieren – passenderweise rief Verdi im Nahverkehr drei Tage lang zum Streik auf. Zum Glück werden die S-Bahnen von der Deutschen Bahn betrieben, sodass ich nicht zum Frankfurter Hauptbahnhof laufen musste, sondern vom nahe gelegenen Westbahnhof abfahren konnte. Flexibilität ist in diesen Tagen gefragt. Früh auf nach unruhiger Nacht und gleich los, denn die App der Deutschen Bahn prognostizierte nach dem Ende des ersten Wellenstreiks hohe bis sehr hohe Auslastung ihrer Züge ab dem späten Vormittag. Der ICE nach Berlin via Leipzig war mäßig belegt und erreichte sein Ziel auf die Minute genau.
Wieder einmal Glück gehabt, aber bei allem Verständnis für die Forderungen der GdL, die ihr Vormann Claus Weselsky vehement hinausposaunt: eine gesetzliche Regelung für Streiks in der kritischen Infrastruktur, auf die täglich Millionen Menschen angewiesen sind, ist überfällig. Gegen eine Arbeitszeitverkürzung ist grundsätzlich nichts einzuwenden; das haben die Metaller schon vor vierzig Jahren erkämpft. Aber es muss festgeschrieben werden, dass ein Streik nur mit ausreichender Ankündigung erfolgen darf und ein reduziertes Angebot der Verbindungen (auch mit GdL-Mitgliedern) aufrechterhalten bleiben muss. Sonst werden weiterhin Menschen, die mit dem Tarifstreit nichts zu tun haben, von Gewerkschaften in Geiselhaft genommen. “Fahrgastvertreter”, so bringt es der Tagesspiegel auf den Punkt, “fordern schon lange ein Gesetz, das die Gewerkschaften verpflichtet, Streiks bei Bus und Bahn rechtzeitig anzukündigen und ein Mindestangebot aufrechtzuerhalten. Einen verpflichtenden Notbetrieb gibt es schon bei Streiks in Krankenhäusern. Weselskys Verhalten zeigt, dass das auch im Verkehrssektor bitter nötig ist.“ (13.03.24)
Über den Streiks der GdL – sie sollen die kriselnde deutsche Volkswirtschaft täglich 100 Millionen Euro kosten – und den seit Wochen andauernden politischen Taurus-Auseinandersetzungen ist die katastrophale Lage der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen in den Hintergrund getreten. Nun hat sich Daniel Barenboim, der langjährige Generalmusikdirektor der Staatsoper Berlin, dazu in wünschenswerter Klarheit in der Wochenzeitschrift “Die Zeit” zu Wort gemeldet: “Nach so viel Blutvergießen und unvorstellbaren Verlusten gibt es wirklich nur eine realistische Lösung: zwei Staaten, die in ihren Gebieten autonom sind; das Ende der Siedlungen im Westjordanland und die Verpflichtung beider Seiten zu einem dauerhaften Frieden. Uns läuft die Zeit davon, und künftige Generationen werden uns nie verzeihen, wenn wir wieder versagen.” (14.03.24) Die Zeit arbeitet gegen die Hardliner in Israel um den Premierminister Benjamin Netanjahu, aber das hilft der geschundenen palästinensischen Bevölkerung in ihrer aktuellen Lage nicht.
Erk Walter
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