©️ Rolf Hiller
Szene aus dem „Horrorfilm“ über den Besuch der Bienen.
Der Mord in unserer gutbürgerlichen Straße in der letzten Woche hat viele aufgewühlt und ist inzwischen aufgeklärt. Zwei Leser dieses Blogs schickten mir unterschiedliche Quellen, die bestätigten, dass die Frau, die nur einige Häuser weiter wohnte, das Opfer einer Beziehungstat wurde. Ein früherer Geliebter stach sie am helllichten Tag nieder und flüchtete dann. Die Polizei hatte ihn bereits im Fokus, traf ihn aber in seiner Wohnung nicht mehr lebend an. Er hatte seine Mutter und sich selbst umgebracht. Der Fall ist geklärt. Wieder einmal wurde eine Frau Opfer einer Beziehungstat; das passiert aktuell in Deutschland durchschnittlich alle drei Tage. In unserer viel beschworenen Zivilisation gab es vor zwei Jahren 122 Femizide, quer durch alle sozialen Schichten. Nicht minder schockierend: insgeheim gibt es oft sogar noch Verständnis für die Männer.
Das Unheimliche verliert seine Macht, wenn wir es begreifen. Wir sitzen beim Essen auf der Terrasse und hören ein Brummen, das immer stärker wird. Unzählige Insekten, vermutlich Bienen, nähern sich in einer Wolke. Wir flüchten ins Haus. Im letzten Jahr hatten uns Wespen heimgesucht; viele waren durch einen Spalt in einer Abdeckung bis ins Treppenhaus vorgedrungen. Es ging damals glimpflich aus, weil uns ein furchtloser Hiddenseer beisprang. Die meisten Wespen aber fielen ohne erklärbaren Grund tot zu Boden. Der diesjährige Insektenschwarm schien vorübergezogen zu sein. Abends zeige ich meinen “Horrorfilm” einer Biologin, mit der wir eine vogelkundliche Wanderung über die Insel machen. “Das sind Bienen”, bestätigt sie. Am nächsten Tag gelingt es uns, die ortsansässigen Imker ausfindig zu machen. Sie wohnen am Rande des Hexenberges und haben ihr “Volk” schon gesucht. Das Ehepaar kommt vorbei und kann uns beruhigen: die Königin hat sich mit ihren rund fünftausend Bienen unter dem Reetdach eingenistet. Sie gehören zur Rasse der Carnica und sind überhaupt nicht aggressiv. Welcome!
Seit fünfzehn Jahren reisen wir schon nach Hiddensee und kommen jedes Jahr ein bisschen mehr an auf der Insel. Manchmal hilft dabei der Zufall. In der Eismanufaktur gibt es eine kleine Unstimmigkeit mit der jungen Frau hinter der Theke. Sie rennt wutentbrannt zu ihrer Chefin, die den Konflikt charmant und souverän klärt und uns zu einer WG-Party einlädt. Nicht nur in Europa wird am Wochenende gewählt, die Hiddenseer können auch über ihren Bürgermeister und die Gemeindevertretung entscheiden. Die Wahlgemeinschaft Hiddensee tritt für einen nachhaltigen Tourismus ein, der sich der kulturellen Tradition der Insel bewusst ist und eine behutsame Erneuerung des Hafens von Vitte anstrebt, in einem Wort: kulturelle Angebote im Geiste der Tradition statt bunter Kapitänsabende. Hier sind wir richtig, lernen viele gute Hiddenseer kennen, erfahren viel Neues über die Inselgesellschaft und stecken uns stolz den WG-Button an. Am Sonntagabend gehen wir wieder in die “Fischerklause” und morgens in den Gottesdienst. Es gibt noch viel zu erfahren.
Erk Walter
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