Foto: © Sonja Rode
Vor über einem Jahr hat Prof. Dr. Ute Clement ihr Amt als Präsidentin der Universität Kassel angetreten. Die gebürtige Wilhelmshavenerin Clement studierte Erziehungswissenschaft an der Fernuni Hagen und absolvierte Promotion und Habilitation an der Technischen Universität Karlsruhe. Seit 2003 hat sie in Kassel eine Professur für Berufs- und Wirtschafts-pädagogik inne. Grund genug für uns, sie zum Interview einzuladen, um mit ihr über das erste Jahr, das Kassel Institute for Sustainability und die Zukunft der Universität Kassel zu sprechen.
Blicken wir auf den Tag Ihres Antritts im Oktober 2021 und das letzte Jahr zurück. Was ist seitdem passiert?
In der Welt ist viel geschehen, das hat auch die Universität bewegt. Im Frühjahr haben Studierende und Beschäftigte der Uni wirklich Großes geleistet, um geflüchtete Menschen aus der Ukraine bei uns aufzunehmen. Beinahe parallel haben wir nach den Corona-Semestern die Rückkehr auf den Campus gefeiert, mit viel Präsenz und Begegnung an den verschiedenen Standorten der Uni. Und nun, im Winter, haben wir mit Kostensteigerung und Inflation als Folge des Kriegs in der Ukraine zu kämpfen – übrigens, wie ich meine, auch als Folge eines in Deutschland verschleppten Umstiegs auf erneuerbare Energien. Dies betrifft alle Hochschulen in Deutschland und es gilt, nicht einfach kurzfristig zu sparen, sondern sinnvoll umzusteuern. Wenn wir es gut machen, können wir den Energieverbrauch dauerhaft senken. Der Tag meines Amtsantritts kommt mir angesichts all dieser Ereignisse schon sehr weit entfernt vor. Ein bisschen so, als betrachte ich ein Foto aus vergangenen Zeiten.
Die schönsten drei Momente, die Sie nicht vergessen werden?
Persönliche Begegnungen mit Menschen innerhalb und außerhalb der Universität – das waren allerdings mehr als drei. Es ist ein großes Privileg, dass ich in diesem Amt so vielen interessierten und klugen Menschen aus so unterschiedlichen Bereichen begegne. Wenn sich hier Momente wirklicher Begegnung ergeben, dann ist das einfach schön.
Ihre Präsidentschaft haben Sie unter das Motto „Qualität, Dialog und Zusammenhalt“ gestellt. Heißt konkret?
100 % Qualität erreicht man ja nur in seltenen Glücksmomenten. Aber das Streben danach ist mir wichtig und der Dialog darüber, welche Qualität wir suchen und wie wir sie erreichen. Dabei kann es auch einmal zu konstruktivem Streit kommen. Aber am Ende stehen wir zusammen; das ist mir wichtig.
Mit Ihnen steht nun wieder eine Frau an der Spitze der Hochschule: Was bedeutet das für Sie?
Für mich selbst ist ja das Besondere, dass ich Präsidentin, nicht, dass ich eine Frau bin (das kenne ich ja schon von mir). Ob es für die Universität eine Rolle spielt, das müssten andere beantworten. Diese Antwort würde mich aber interessieren!
Sie sind Gründungsvorsitzende des entstehenden „Kassel Institute for Sustainability“. Was ist das für ein Projekt?
Einer der beiden Forschungsschwerpunkte der Universität setzt sich mit nachhaltigen Transformationen auseinander, der andere mit Materialien der Zukunft. Im Nachhaltigkeitsschwerpunkt gründen wir gerade ein Wissenschaftszentrum mit 17 neuen Professuren für die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Neben Forschung zu Zukunftsthemen bringt das Institut in den kommenden Jahren auch neue Studiengänge mit sich, die ein Fachstudium mit dem Thema Nachhaltigkeit verbinden, und zwei Graduiertenprogramme.
Es ist ein wirklich großes Vorhaben für die Universität und es ist großartig, daran beteiligt zu sein. Das Institut hat mit einer ersten großen Konferenz und den Berufungen der ersten Professorinnen und Professoren Fahrt aufgenommen. Im Frühjahr wird sich eine neue Struktur bilden, die mittelfristig auch ohne Gründungsdirektorium auskommt. Ich freue mich darauf mitzuerleben, wie mit den neuen Professuren auch neue Ideen wachsen. Übrigens ist gerade dieser Forschungsschwerpunkt so breit angelegt, dass sich von der Philosophie bis zur Technik nahezu alle Fachrichtungen, die wir in Kassel haben, einbringen können.
Mit der 2019 verabschiedeten „Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierungen und sexualisierter Gewalt“ setzt die Universität Kassel ein klares Zeichen für ein wertschätzendes Mit-einander und gegen Diskriminierungen. Was hat sich seitdem geändert?
In der ganzen Gesellschaft ist in den letzten Jahren das Bewusstsein gewachsen, dass man Fälle von sexueller Belästigung, Diskriminierung oder gar Gewalt nicht verschweigen darf, sondern offen dagegen angehen muss. Selbstverständlich wird so etwas auch an der Universität nicht toleriert. Mit einer Kampagne „Stoppt das Schweigen“ sensibilisieren wir derzeit für das Thema, leisten Aufklärungsarbeit und machen unsere Hilfsangebote für Betroffene bekannter.
Sehen Sie den digitalen Wandel als eine Herausforderung oder als Chance?
Digitalität sehe ich als Chance, den Wandel als Herausforderung. Für die Universität bietet sich dadurch beispielsweise die Möglichkeit, neue Formen des Lehrens mit den Vorteilen des hergebrachten Studiums zu verbinden, etwa indem Tutorien mit Online-Tools unterstützt werden. Auch in vielen anderen Punkten verändert das die Organisation von Forschung, Lehre und Verwaltung. Alle Bereiche der Universität können davon profitieren. Digitalisierung ist aber kein Selbstzweck, sondern dann sinnvoll, wenn sie die Prozesse einfacher macht.
Die Entwicklung neuer Forschungsschwerpunkte an der Universität ist ein wichtiger Bestandteil Ihrer Arbeit. Ist die Uni auf dem richtigen Weg?
Ja. Wir haben ganz hervorragende Wissenschaftler*innen an die Universität Kassel berufen, die unter anderem unsere Schwerpunkte in der Nachhaltigkeit, den Materialwissenschaften, der Physik und dem documenta-Institut stärken. Vier von ihnen werden von der Europäischen Union ausgezeichnet und gefördert, einer kommt mit einer sogenannten Spitzenprofessur des Landes – es sagt viel, dass sich solche Leute für Kassel entscheiden. Die könnten auch woanders hingehen.
2023 feiert der Fachbereich Architektur – Stadtplanung – Landschaftsplanung der Universität Kassel sein 50-jähriges Bestehen. Was ist geplant?
Es wird ein großes Ausstellungsprogramm geben – achten Sie gerne auf die entsprechenden Ankündigungen. Es werden aber in den kommenden Jahren auch andere Fachbereiche und Institute 50 – kein Wunder, nachdem die Universität 1971 gegründet wurde. Auch diese Institute feiern und laden die Region ein, dabei zu sein.
Welche weiteren Pläne und Ziele stehen für das Jahr 2023 an?
Wir werden unsere Studienprogramme erweitern und teilweise auch bestehende Studiengänge überarbeiten. Das Kassel Institute wird seine inhaltliche Arbeit aufnehmen. Über ein Projekt namens Innovative Hochschule werden wir auf eine neue Art Netzwerke in die Region knüpfen und wissenschaftliche Erkenntnisse in die Region bringen. Große und spannende Forschungsvorhaben sind am Start. Es wird uns nicht langweilig werden.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am besten?
Die große Vielfalt der Aufgaben und Perspektiven, mit denen wir tagtäglich zu tun haben. Und dass so viele kluge, engagierte Menschen ihre Kompetenz, ihre Energie und ihren Humor einbringen, damit wir diesen Aufgaben gerecht werden.
Was bedeutet Glück für Sie?
Am frühen Morgen innezuhalten und dankbar zu sein, dass wir auch diesen Tag (jedenfalls in unserer Stadt und unserem Land) in Freiheit und ohne Krieg leben können.
Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Zeit, wünschen Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg mit dem „Kassel Institute for Sustainability“ und freuen uns auf die positiven Impulse, die nächstes Jahr von der Universität ausgehen werden.