© Lucas Melzer
Die Absolvent*innen und Meisterschüler*innen der Kunsthochschule Kassel zeigen zum Jahresende – 11. bis 15.12.2024 – die bundesweit einzigartige Abschlussausstellung EXAMEN in der documenta-Halle. Die Ausstellung versammelt Abschlussarbeiten aus den Bereichen Bildende Kunst, Visuelle Kommunikation, Produktdesign und Kunstwissenschaft. Sie umfassen ein breites konzeptuelles und gestalterisches Spektrum, das von Malerei über Skulptur, Film und Performance bis hin zu innovativen Produkten und multimedialen Installationen reicht. Die diesjährige Abschlussausstellung, kuratiert von Philipp Lange, trägt den Titel EXAMEN 24 – Die Pflanze durch den Asphalt. Der poetische Untertitel lässt nicht nur an die vielen Hürden denken, die es im Laufe eines Studiums zu überwinden gilt, sondern bezieht sich auch auf die Zeit, in der wir leben. Philipp Lange ist ein in Berlin lebender Kurator, Kunstwissenschaftler und Kulturmanager. Nach seinem Studium in Kunstgeschichte, Kommunikationsdesign und Curatorial Studies in Berlin, Paris, Halle/Saale und Frankfurt/Main war er kuratorischer Stipendiat des Goethe-Instituts und Curator-in-Residence an der Cité Internationale des Arts in Paris sowie als Assistenzkurator am Brücke-Museum und Schinkel Pavillon in Berlin tätig. Wir haben ihn zum Interview eingeladen, um mit ihm über seine kuratorische Herangehensweise, die Architektur der documenta-Halle und seinen aktuellen Arbeitsalltag zu sprechen.
Neben deiner Tätigkeit als Kurator bist du seit 2024 Geschäftsführer des Vereins „KW Friends“. Was sind dort deine Aufgaben?
Die KW Friends sind ein Mitgliederverein zur Unterstützung der KW Institute for Contemporary Art und der Berlin Biennale – zwei großartige Institutionen unter dem Dach der KUNST-WERKE BERLIN. Ich verwalte die Spenden der Vereinsmitglieder, mit denen das Ausstellungsprogramm und Sonderprojekte finanziell unterstützt werden. Gleichzeitig konzipiere und organisiere ich Veranstaltungen wie Previews, Atelier- und Sammlungsbesuche oder Reisen, die wiederum Anreize für die Mitgliedschaft schaffen. Hinzu kommen weitere Aufgaben, z. B. klassische Kommunikationsarbeit (Newsletter, Website, Social Media). Dabei arbeite ich mit den verschiedenen Abteilungen beider Häuser, ihren wunderbaren Teams und dem engagierten Vorstand zusammen. Es ist außerdem spannend, die vielen treuen Unterstützer*innen persönlich kennenzulernen.
Ist das parallele Kuratieren der EXAMEN 2024 eine Doppelbelastung?
Ich kuratiere seit einigen Jahren regelmäßig Ausstellungen und bin es daher gewohnt, verschiedene Projekte zu jonglieren. Der Examensausstellung gehen in diesem Jahr unter anderem zwei Einzelausstellungen voran: mit Christina Krys Huber im Kölner Projektraum Mouches Volantes und mit Friedrich Andreoni in der Galerie Met in Berlin. Herausfordernd ist nun jedoch die große Anzahl an fast 70 teilnehmenden Absolvent*innen und Meisterschüler*innen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, alle persönlich kennenzulernen, sei es in Kassel, Berlin oder via Zoom. Das hat natürlich viel Zeit in Anspruch genommen, war aber wichtig für das Verständnis der jeweiligen künstlerischen und gestalterischen Praxen. Zusätzlich sind weitere Personen am Projekt beteiligt wie etwa die Grafiker*innen, das Technik-Team der documenta-Halle oder die Pressestelle der Kunsthochschule. Diese vielen Kommunikationsstränge aufrecht zu halten, bedeutet ein gutes Organisationsmanagement. Machbar ist das alles vor allem deshalb, weil ich von allen Seiten sehr herzlich empfangen werde. Außerdem bin ich in den vergangen Monaten immer wieder nach Kassel gereist. Diese Tage vor Ort waren besonders wertvoll, um mich voll und ganz auf das Projekt zu konzentrieren.
Wie sieht deine kuratorische Herangehensweise an die Examensausstellung aus?
Zunächst habe ich Atelierbesuche bei allen Absolvent*innen vorangestellt, um mich noch näher mit ihren Arbeiten zu befassen. Während diesen fruchtbaren Gesprächen hatte sich die Positionierung in der documenta-Halle oft schon herauskristallisiert. Finalisieren konnte ich den Raumplan allerdings erst nach allen Einzelgesprächen. Ich habe dabei für jede Arbeit den für sie passendsten Ort gesucht. Welche Lichtverhältnisse braucht es? Soll die Arbeit zu Beginn oder am Ende der Ausstellung zu sehen sein? Wie beeinflusst die Architektur die Präsentation? Welche Arbeiten befinden sich in der unmittelbaren Umgebung und wie reagieren sie aufeinander?
Hilft es dir, dass du über so langjährige kuratorische Erfahrungen verfügst? Inwiefern beeinflussen deine vorherigen kuratorischen Erfahrungen das Projekt Examensausstellung?
Natürlich ist es für mich als Bäcker nützlich, wenn ich bereits viele Brötchen gebacken habe. Vielleicht fällt es dann schwer, mal ein anderes Rezept auszuprobieren, aber Kuratieren ist kein Backen nach Rezept, weil jedes Projekt in neuen Räumen stattfindet, andere Themen verhandelt, die Zusammenarbeit mit anderen Menschen verlangt, sich in die jeweils aktuellen Diskursen einbettet und sich immer vor ungeahnte Herausforderungen stellt.
Besonders hilfreich ist, dass ich 2021 schon einmal eine Abschlussausstellung der Bildenden Kunst co-kuratiert habe. In dem Projekt der Berliner Universität der Künste war die Gruppe an Absolvent*innen zwar deutlich kleiner und wir mussten anfangs noch einen passenden Ausstellungsraum suchen, aber die grundlegende Idee der Ausstellung war die gleiche: Die Arbeiten der Absolvent*innen einem größeren Publikum zu präsentieren, die entstandenen Freund*innenschaften und die Kollegialität unter den Studierenden zu feiern und Abschied von der Ära des Studiums zu nehmen – ein kurzes Innehalten vor der weiteren Laufbahn.
Sicherlich prägen auch meine institutionellen Erfahrungen meine eigene kuratorische Praxis. Sei es am Hamburger Bahnhof, am Brücke-Museum oder am Schinkel Pavillon – die Zusammenarbeit mit den dortigen Kurator*innen und den beteiligten Künstler*innen hat entscheidenden Einfluss genommen auf die Art und Weise, wie ich kuratiere. Bei jedem Projekt, egal in welchem Kontext, lerne ich dank der Menschen, mit denen ich es beschreite, viel Neues dazu.
© Daniela Duque Goméz, Anna Kern, Martin Vella
Erzählst du uns bitte etwas zum diesjährigen Ausstellungskonzept?
Der poetische Untertitel „Die Pflanze durch den Asphalt“ lässt einerseits an die vielen Hürden denken, die es im Laufe eines Studiums zu überwinden gilt – ein anfangs kaum zu durchdringendes Dickicht an Möglichkeiten und bürokratischen Vorgängen. Andererseits möchte ich mit dem Titel auch die Zeit reflektieren, in der wir leben. Kriege, Klimawandel und die politische Polarisierung vermitteln das Gefühl einer zunehmenden Unbewohnbarkeit der Erde. Doch selbst auf zubetonierten Oberflächen und unter sonstigen erschwerten Bedingungen entstehen Risse, durch die neues Leben sprießt. Die Pflanze, die den Asphalt durchbricht, steht als Sinnbild für die innere und nie enden wollende Antriebskraft, die sich in den Arbeiten aller Absolvent*innen niederschlägt, und sie gibt Hoffnung auf eine positive Zukunft.
Was ist aus deiner Perspektive charakteristisch für die KHK?
Ich finde es interessant zu sehen, wie der lokale städtische und sozialpolitische Kontext Einfluss nimmt auf die Inhalte der künstlerischen und gestalterischen Projekte von Studierenden. In Kassel prägt natürlich die documenta sehr, in Berlin geht es häufiger um Wohnungsnot. Große politische Themen wie Migration oder die Klimaerwärmung sind heutzutage überall präsent. Wie sie sich in den Arbeiten widerspiegeln, unterscheidet sich aber von Kunsthochschule zu Kunsthochschule. In Kassel begegneten mir häufiger Arbeiten mit einem pädagogischen oder didaktischen Ansatz, während die Inhalte an der Frankfurter Städelschule noch viel stärker in eine eigenwillige künstlerische Sprache transformiert werden. Das hängt damit zusammen, welche Studiengänge angeboten werden und wie interdisziplinär das Angebot von den Studierenden genutzt wird. Zudem nimmt der Kunstmarkt in Kassel weniger Einfluss, weil er in der Stadt kaum präsent ist. Vielleicht arbeiten auch deshalb viele der Kunst-Absolvent*innen multimedial: Ihre Abschlussprojekte umspannen oft verschiedene künstlerische Medien wie Malerei, Film, Druckgrafik und Performance. Zudem wird in jedem Studiengang das Examensprojekt auffallend oft von einer Publikation begleitet, weshalb ich in der documenta-Halle einen extra Leseraum einrichten werde.
Die documenta-Halle hat eine spezielle Architektur. Stellen euch die räumlichen Gegebenheiten vor eine Herausforderung?
Ich finde die Architektur unglaublich spannend und ich bin dankbar für die vielen Eigenheiten der Räume. Von den klassischen, künstlichen Ausstellungsräumen, den sogenannten „White Cubes“, bin ich eher gelangweilt. Trotzdem machen sich darin viele Arbeiten ganz hervorragend, weil diese Räume eine besondere Konzentration ermöglichen. Andere passen konzeptuell in das weitläufige Foyer mit den großen Fenstern, während wiederum andere sich besser in die große Ausstellungshalle mit den Oberlichtern integrieren – raumgreifende Installationen. Es hat großen Spaß gemacht, die Arbeiten im Raumplan zu positionieren – meist im engen Austausch mit den Absolvent*innen.
Und nehmen die räumlichen Gegebenheiten Einfluss auf die Präsentationsformen?
In vielen Fällen ja. Einige Ausstellende entwickeln ortsspezifische Installationen, die speziell für diese Räume erdacht sind und dabei ganz neue Perspektiven auf die Architektur ermöglichen. Andere passen ihre Installationen an die örtlichen Gegebenheiten an, vor allem wenn es eher unkonventionelle Orte sind. Eine Leinwandmalerei bleibt aber natürlich in ihrer Form unverändert, doch auch hier gilt es sich zu fragen, wo und wie sie ihre Wirkung am besten entfalten kann.
Wie müssen wir uns deinen aktuellen Arbeitsalltag vorstellen?
Gerade sitze ich im Kasseler Stadthotel und bereite mich auf ein Examenstreffen in großer Runde vor, morgen besichtige ich ein letztes Mal die documenta-Halle mit einigen Absolvent*innen, um letzte Fragen zu klären, bevor bei meinem nächsten Kassel-Besuch der Aufbau beginnt. Aber erstmal muss ich in zwei Tagen zurück nach Berlin, da wir an dem Abend in den KW eine neue Ausstellung eröffnen. Mir ist auf jeden Fall nicht langweilig!
Wir bedanken uns ganz herzlich für deine Zeit und freuen uns auf ein Wiedersehen bei der EXAMEN 2024.
Eröffnung & Förderpreisvergabe: 11. Dezember, 18 Uhr | Öffnungszeiten: Do, Fr, Sa: 10–20 Uhr / So: 12–20 Uhr