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© Pascal Heußner
Das besondere Freiluft-Ambiente auf einer kreativ in Szene gesetzten Hinterhofbrache war besonders im documenta-Sommer 2022 zu einem der angesagtesten Ausgeh-Orte in der Innenstadt geworden.
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© Pascal Heußner
Bei der Kunstausstellung „Bernsteinzimmer“ wurden regelmäßige Führungen durch die Ausstellung angeboten – hier mit Silvia.
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© Pascal Heußner
Zur Museumsnacht 2023 gab es TaschenlampenFührungen, die sich großer Beliebtheit erfreut haben.
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© Pascal Heußner
Noch leuchtet an einer Wand in der Kunstzone der Schriftzug „in art we trust“ – eine Arbeit von Lutz mit Bauschaum auf die Hausfassade geschäumt aus dem Jahr 2020.
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© Stephan Haberzettl
Teamexkursion nach Niedenstein: Lutz Freyer, Pascal Heußner und Silvia Freyer
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© Kai Frommann
Lutz Freyer und Marén Freyer (Betreiberin der PERLE)
Im Sommer 2023 waren die Erweiterungspläne für das Hotel Hessenland am Brüder-Grimm-Platz und das gesamte Quartier um das Hugenottenhaus in der Friedrichsstraße das Aufregerthema in der Stadt. Es folgte das Aus für die Café-Bar Perle im benachbarten sogenannten ‚Palais‘ und die ‚Umgestaltung‘ des Naturbiergartens Kunstzone in eine Tiefgarage. Kürzlich dann die bittere Wahrheit, dass es auch das Hugenottenhaus in der bisher betriebenen Form nicht mehr geben wird.
Die Geschichte des Hugenottenhaus-Projektes beginnt mit der Ausstellung „neue enden“ im Jahr 2015 im Fridericianum/Kasseler Kunstverein, die Silvia und Lutz Freyer zu Ehren ihres Lehrers Fritz Schwegler organisierten. Mit der Ausstellung „Freie Zimmer“ begann 2019 die Ära im Hugenottenhaus. Die Ausstellungsreihe wurde 2020 mit „Bewegte Zimmer“ fortgesetzt und es folgten die Ausstellungen: „Doppelzimmer“ (2021) und „erste hilfe : first aid“ (2022). Die letzte Ausstellung „Bernsteinzimmer“ im Jahr 2023 war ein fulminanter Erfolg. Wir haben das Gründerteam – bestehend aus Lutz, Marén, Silvia Freyer und Pascal Heußner – zum Interview getroffen, um mit ihm über die aktuelle Situation zu sprechen.
Wie geht es euch im Moment?
Lutz: Na ja, wenn ich gerade im Hugenottenhaus, der Kunstzone und der Perle bin, dann ist es erschütternd, in welch kurzer Zeit ein lebendiger Ort zerstört wurde für eine Tiefgarage. Die meisten Bäume sind schon gefällt, die Perle bzw. der Bodesaal ist ausgeräumt und das Hugenottenhaus leer. An einer Wand in der Kunstzone leuchtet noch der Schriftzug „in art we trust“. Er bewegt mich weiter, wie all die berührenden Erlebnisse mit so vielen Menschen.
Pascal: Momentan bin ich sehr hin und her gerissen. Zum einen bin ich natürlich sehr ernüchtert und wehmütig über das Ende eines so intensiven Projekts, in das viel Energie geflossen ist. Zum anderen ist da auch ein positives Gefühl, die Möglichkeit zu haben, auf diese letzten sechs Jahre zurückgreifen zu können, sei es menschlich, geistig oder dokumentarisch. Es ist viel entstanden – diese Eindrücke, Gedanken und Momente können uns auch Rodungsarbeiten nicht nehmen.
Silvia: Nun, wir blicken auf eine intensive Zeit seit 2019 zurück. Ein besonderes Engagement von unserer Seite hat es möglich gemacht, mit „Freie Zimmer“ im Hugenottenhaus mit einer viel beachteten Ausstellung zu starten. Es gibt unendlich viele Erinnerungen an Kunsträume, die größtenteils von den engagierten Künstler*innen direkt für das Haus entwickelt wurden. Viele Helfer und Helferinnen, die uns unterstützt haben, begeisterte Besucher, die aus ganz verschiedenen Gesellschaftsschichten kamen. Diese Erinnerungen machen mich glücklich, zufrieden und hoffnungsfroh, dass dieses Projekt, mit dem wir uns in die Stadtgesellschaft eingeschrieben haben, an anderer Stelle weitergehen wird.
Seit Tagen schlägt euch eine große Welle der Sympathie entgegen und viele Menschen berührt und schmerzt der Abschied. Was bedeutet euch der Rückhalt?
Marén: Der Rückhalt aus der Zivilgesellschaft macht erneut deutlich, wie viele Menschen die PERLE erreicht hat. Die Betroffenheit, diesen kulturellen, grünen und belebten Ort inmitten des Stadtzentrums zu verlieren, zeigt ein breites Bedürfnis nach genau solchen Orten wie der PERLE.
Silvia: Auch uns schmerzt der Abschied. Bis zum Schluss haben wir weiterhin auf ein Wunder gehofft, um das Gesamtprojekt retten zu können. Nun ist dieses Wunder nicht eingetroffen und wir trauern mit all denen, die diesen besonderen Ort des Zusammenkommens und der Kultur geliebt haben und ihn vermissen.
Das Magazin Monopol schrieb kurz nach der Schließung: „Der Unternehmer Udo Wendland, der das Areal entwickeln will, hat jedoch darauf hingewiesen, dass das Hugenottenhaus nach einer Sanierung weiter ein Ort für Kunst und Kultur sein soll.“ Ist das ein Lichtblick oder ein Schlag ins Gesicht?
Pascal: Es ist ein herber Schlag für alle, die dieses Projekt gelebt und geliebt haben. Jeder hat eine eigene Auffassung, wie ein solches Projekt entwickelt werden kann. Wir haben diesen Ort in den letzten sechs Jahren real entwickelt und sind von innen heraus mit den Gegebenheiten umgegangen. So haben wir natürlich auch unsere Themen, Sprache und Auffassung für einen Kunst und Kulturort in das Hugenottenhaus gebracht. Durch eine Sanierung wird es ein anderer Ort werden – aber eben nicht unserer.
Silvia: Das Areal war entwickelt, und zwar in einer Weise, um die uns viele Besucher aus den Metropolen wie Berlin oder Frankfurt beneidet haben. „Solche Orte gibt es schon länger nicht mehr bei uns.“ Wir wurden überregional wahrgenommen. Auch die Ausstellungskonzeption war besonders. Neben international wirkenden Künstlern und Künstlerinnen waren gleichberechtigt Künstler und Künstlerinnen aus Kassel zu sehen. Zudem waren wir im Stadtraum umfangreich vernetzt.
Über Partnerschulen, Kunsthochschule, freie Kunstszene, Staatstheater, um nur einige zu nennen. Wir haben unseren Beitrag zu einer Stadtentwicklung aufgezeigt, wie sie uns am Herzen liegt: Kunst als Mittelpunkt und Ort des Austausches von Wahrnehmungen und Meinungen. Und zwar für ein weites Feld von unterschiedlich ausgerichteten Menschen.
Schwelgen wir in außergewöhnlichen Erinnerungen. Was werdet ihr nie vergessen?
2019 die Eröffnung von „Freie Zimmer“ werde ich nie vergessen. Es war ein Riesenerfolg. Ich glaube, fast 1000 Menschen kamen zur Eröffnung und haben sich mit uns über eine gelungene Wiederbelebung des Hauses gefreut. Dann das Livestudio „100 Menschen – 100 Tage“, ein Kernprojekt in der Ausstellung „erste hilfe : first aid“, zu dem viele Menschen eingeladen waren, über ihr Engagement für andere zu berichten. Diese Filme sind weiter unter artort.tv abrufbar. Die Konzerte im Bombenkrater, den Maren als Bühne entwickelt hat, mit seiner besonderen Atmosphäre. Und ja, das Rotkehlchen, das in der Kunstzone beheimatet ist und durch sein Erscheinen nicht nur mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat.
Marén: Die jährlichen Openings der PERLE waren aufregende, inspirierende und elektrisierende Momente. Die Vorfreude auf den bevorstehenden Sommer lag spürbar in der Luft und die PERLE war ein Ort, der genau dieses Gefühl für mich widerspiegelt.
Pascal: Da gab es eine ganze Menge Momente – was ich aber für mich sagen kann, ist, dass alle außergewöhnlichen Momente mit zwischenmenschlicher Energie zu tun hatten. Ich kann mich gut an den letzten Tag der 2022er-Ausstellung „erste hilfe : first aid“ erinnern. Da haben Silvia und ich zusammen die letzte Kassenschicht gemacht. Der Eintritt war an diesem Abend auf Spendenbasis. Viele wollten noch einmal unbedingt in die Ausstellung und sich davon verabschieden oder noch letzte Details „speichern“.
Es war einfach schön, noch einmal viele Menschen zu treffen, die wir über das Projekt kennengelernt haben, und zu sehen, wie verbunden sie sich fühlen. Die meisten waren die Hauptzeit an diesem Tag nicht in der Ausstellung, sondern haben viel Zeit damit verbracht, mit uns im Kassenraum zu quatschen, zu debattieren – sich noch einmal auszutauschen. Die Stimmung war nach den intensiven 100 Tagen Ausstellung sehr besonders und vieles hat sich an diesem Tag gelöst. Besonders ist uns klar geworden, was wir hier eigentlich geschaffen haben: nicht nur einen Ort, sondern eine Schnittstelle für Kunst, Menschen, Gedanken, Emotionen und noch vieles mehr.
Silvia: Den Zusammenhalt im Team, die Begeisterung der Kinder, wunderbare Arbeiten, die uns beflügelt haben, intensive Gespräche, Musik und bewegende Momente in der Kunstzone. So viel taucht da auf. Wir wollten deshalb auch einen Abschiedstag im Hugenottenhaus veranstalten, um Raum zu geben, diese Momente auch für und durch andere erstrahlen zu lassen. Leider ist uns das untersagt worden.
Wie geht es jetzt für euch weiter?
Lutz: Ich glaube, nach der Trauer und auch nach allem, was ich erlebt habe an förderlichen und hinderlichen Momenten in diesen sechs Jahren, muss sich erstmal alles setzen, sortieren und transformieren. Ich werde auf jeden Fall als Künstler und Kurator weiterarbeiten.
Marén: Ich bin dabei, mich nach diesen vier intensiven Jahren neuen Perspektiven hinzuwenden und Angebote zu sondieren, festgelegt ist dabei aktuell noch nichts.
Pascal: Mit dem Projektende liegt eine intensive Zeit hinter uns. Was wir im Kern mitnehmen, sind wir selber, und zwar als stark zusammengewachsenes Team – damit meine ich nicht nur uns vier, sondern das gesamte Projektteam. Dies ist eine enorm wichtige und wertvolle Basis. In letzter Zeit haben wir viele Gespräche geführt, bei denen es immer wieder Thema war, wie wir mit unseren Ausstellungen und Formaten BesucherInnen und TeilnehmerInnen berührt und bewegt haben. Viele von ihnen fragen nun genau diese Frage: „Wie wird es weitergehen?“
Von daher bin ich völlig davon überzeugt, dass es ein Projekt geben wird, in dem wir weiterhin mit unserem Kunstverständnis arbeiten und Menschen mit und über Kunst zusammenbringen und Raum für Gedanken und Transformation schaffen. Nur wie das ganze aussehen wird und wo so etwas stattfinden kann, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht – da müssen wir weiter mit Menschen und Unterstützer*innen reden.
Silvia: Erst werde ich das Projekt bis Ende März abschließen. Dann wird es sicher eine Neuorientierung geben. Ich bin gespannt, was auf mich und uns zukommen wird.