
Foto: © Christine Fenzl
Seit Dezember 2021 lebt und arbeitet Annett Kruschke in Kassel – sie ist fester Bestandteil des Ensembles des Staatstheaters Kassel. Nach unzähligen Auftritten auf deutschen Bühnen und vor der Kamera ist sie nun bei uns in der schönen Fuldametropole gelandet. Wir haben sie zum Interview getroffen und mit ihr über besondere Frauen, ihre unterschiedlichen Rollen und weitere Projekte gesprochen.
Was ist für Sie der größte Unterschied zwischen Film und Bühne?
Grundsätzlich unterscheiden sich vor allem die Produktionsweisen. Beim Film bereite ich mich auf den jeweiligen Drehtag vor und am selben Tag des Zusammentreffens aller Beteiligten wird das Ergebnis unwiderruflich fixiert. Im Theater bereite ich meine Szenen vor und gehe durch den Lauf der Proben mit allen Beteiligten durch einen Prozess, der am Tag der Premiere zu einem vorläufigen Abschluss kommt. Dennoch geht der Prozess durch die folgenden Vorstellungen immer weiter. Zudem habe ich durch die Nähe der Kamera die Möglichkeit, den Zustand der Figur viel intimer und feiner zu zeigen. Fehlt diese Möglichkeit dieser Nähe arbeite ich mit größeren körperlichen und stimmlichen Mitteln, die die Bühne erfordert, um – ja auch selbst Intimität – zu transportieren.
Zu Ihren bekanntesten Filmrollen zählt die charmante Tontechnikerin Ulla in Hape Kerkelings „Kein Pardon“. Was ist Ihre schönste Erinnerung an diesen Film und die Zusammenarbeit mit Hape Kerkeling?
Das Casting begann so: Hape Kerkeling öffnete mir die Tür, gab mir erfreut die Hand und stellte sich vor „Ich bin Hape!“ Ich glaubte, er nennt mir die Initialen seines Namens und antwortete „Ich bin A.K.“ Das war für uns beide im Nachhinein eine komische Geschichte.
Sie haben sich als Autorin auf die Spuren mutiger und außergewöhnlicher Frauen begeben – wie beispielsweise Camille Claudel oder Olympe de Gouges. Was fasziniert Sie am meisten?
Die Werke der Bildhauerin Camille Claudel verbunden mit ihrer Lebensgeschichte haben mich schon als Jugendliche sehr berührt. Ich las mit Vorliebe Biografien. Ihre Kunstwerke faszinierten mich, ihre eigene Art, ungebunden das übliche Maß ganz selbstverständlich zu überschreiten und ganz nach der inneren Empfindung und Wahrnehmung zu schöpfen. Da war das hohe Maß an handwerklichem Können gepaart mit einem Schritt weiter ins Unerforschte, ein Sich–Aussetzen, ja Ausliefern. Ich nenne es das Besondere. Das schuf die erste Verbindung, den Reiz, die Anziehung, ein Grund, auf die Spurensuche zu gehen. Es war ein Auftragswerk des Staatstheaters Meiningen.
OLYMPE DE GOUGES schrieb ich für das Theater Vorpommern. Die Französische Revolution wurde maßgeblich von den Frauen getragen, dennoch sind uns in der Geschichtsschreibung die Männer wie z. B. Robesspierre, Saint Just, Danton präsentiert und auf ewig gehoben. Ich selber habe in meiner Inszenierung von Georg Büchners DANTONS TOD all die berühmten Männertexte gesprochen, mich über Monate – ja dann auch Jahre mit ihnen beschäftigt. Überrascht war ich dann, als ich erst später Texte von Olympe de Gouges las. Dass ihre ERKLÄRUNG DER RECHTE DER FRAU UND BÜRGERIN die Grundlage unseres heutigen Scheidungsrechts legte, damit Frauen und Kinder nach amtlichen Trennungen nicht einfach mittellos aus der Gesellschaft fallen. Durch Robespierres geistigen Wahnsinn wurde sie wie so viele andere Menschen in der Phase seiner Terrorherrschaft ermordet. Bei jeder Auseinandersetzung mit der Geschlechterfrage landete ich bei der Frage nach dem Besitz. Es geht ja immer um die Nachkommen. Die moderne Antwort darauf scheint ja eher Gefrierschränke mit nützlichem Gewebe zur Fortpflanzung zu sein. Mein Fokus lag jedoch auf dem entstehenden Konflikt, wenn eine Frau sich auf ihre sehr eigene Art und Weise in ein patriarchales System einbringt und somit logischer Weise für alle zum Störfall wird. Allerdings stellte sich uns die Frage: Was ist denn die weibliche Art und Weise? In welchem freien Raum könnten wir uns mal ausprobieren und kennenlernen?
Sie spielen so unterschiedliche Rollen – derzeit von „Die Verwandlung“ bis hin zur „Dreigroschenoper“. Wie bereiten Sie sich auf die Rollenwechsel vor?
Nach dem Lesen der jeweiligen Literatur habe ich meist erste Impulse, Wahrnehmungen, Reaktionen auf Stoff und Thema. Dann höre ich, welche Intention die Regie hat und dann probieren wir eben, wie es gehen kann. Eine Entwicklung. Meine erste Arbeit „Die Verwandlung“ am Haus führte Stef Lernous – ein wunderbarer Regisseur und Künstler, ich freute mich riesig, alles ohne Text, nur durch den körperlichen Ausdruck mitteilen zu können. Ein tolles Erlebnis. Auch die Vorstellungen. Bei Martin Berger in der „Dreigroschenoper“ arbeitete ich das erste Mal mit einem Orchester zusammen. Das erinnerte mich an meine Musikschulzeit. Wie wunderbar es ist, von Musik getragen zu werden.
Ende Mai startet die neue Reihe „Vorschlagsliste“: Was ist das für ein Projekt?
Es ist eine gemeinsame Forschungsarbeit von uns Theatermacherinnen mit dem Team des documenta-archivs und ja, man könnte auch sagen eine Art „Ausgrabungsarbeit“. Die Idee hatte unsere Schauspieldramaturgin Katja Prussas, die seit einigen Jahren das Archiv als Ressource für ihre Theaterarbeit sieht und Formate sucht, um Archivarbeit für die Bühne sicht- und lesbar zu machen. Ausgangspunkt für Kassel war, nach Frauen zu forschen, die zum einen auf der documenta mit ihren Kunstwerken vertreten waren, und zum anderen vor allem nach Frauen, die sich nicht auf der legendären „Vorschlagsliste“ wiederfanden, obwohl ihr Werk bedeutend ist. Sowie all die Frauen im Hintergrund, die eine solche Kunstausstellung erst möglich machten. Gemeinsam mit meiner Schauspielkollegin Lisa Natalie Arnold, der Direktorin des documenta-archivs Dr. Birgitta Coers und dem Videokünstler und Dokumentar Michael Gärtner gehen wir in den nächsten Jahren auf die Suche in unentdecktem Terrain.
Aktuell proben Sie für die Produktion „Der Kirschgarten“, die am 7. Mai Premiere feiert. Sie spielen die Hauptrolle der Gutsbesitzerin Ljubow Ranjewskaja. Eine Herausforderung?
Ja. Hier nun laufen wieder alle Elemente zusammen. Mir fällt es allerdings immer schwer über akute Prozesse zu sprechen. Da halte ich es mit Rilke: „Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. / Die Dinge singen hör ich so gern. / Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm. / Ihr bringt mir alle die Dinge um.“ Nur so viel: Wir sind im Kirschgarten eine große Gesellschaft dieser Zeit. Jan Friedrich führt Regie. Wir arbeiten. Kommen Sie ab dem 7. Mai einfach gucken! Das Theater ist ja zum Glück wieder für alle Menschen zugänglich.
Mit welchem oder welcher internationalen Schauspieler*in würden Sie gern auf der Bühne stehen? Und für welches Stück würden Sie sich entscheiden?
Immer diese Entscheidungen! Ich schätze in ihren Werken Anna Magnani, Oskar Werner, Simone Signoret, Maria Callas, Al Pacino, Robert de Niro, Marlon Brando, Klaus Kinski, Tina Turner, Ulrich Tukur, um nur einige zu nennen – vielleicht wäre ja die URSONATE von Kurt Schwitters ein passendes Werk für alle.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am besten?
In allen Fällen die Prozesshaftigkeit.
Seit Dezember sind Sie fest im Ensemble des Kasseler Staatstheaters. Haben Sie schon einen Lieblingsplatz in der Region gefunden?
Die Orangerie mit ihrem Astronomisch-Physikalischen Kabinett und die Umgebung sind bisher meine meist besuchtesten Orte, außer das Theater und meine Wohnung natürlich.
Was bedeutet Glück für Sie?
Stimmigkeit. Wenn ich fühlen kann, dass der Weg stimmt. Da ist Leichtigkeit. Vertrauen. Tiefe Freude. Klarheit. Doch das Glück ist ja bekanntlich flüchtig.
Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Zeit, wünschen Ihnen eine grandiose Premiere „Der Kirschgarten“ und viel Spaß beim weiteren Entdecken Ihrer Lieblingsplätze in unserer Region.