
© Rolf Hiller
Ohne Zuversicht geht beim Stuhlakrobaten Sarban Troupe gar nichts.
An Grüßen und Wünschen fehlt es nie beim Jahreswechsel, in der Zeit der Rauhnächte (altertümliche Schreibweise), also der Zeit vom 25. Dezember bis zum 06. Januar. “Die Raunächte sind eine Zeit, die seit der frühen Neuzeit für Geisteraustreibung oder -beschwörung, den Kontakt mit Tieren oder wahrsagerische Praktiken geeignet sein soll.” (Wikipedia) Zumindest sind die Tage ‘zwischen den Jahren’ eine Zeit der Besinnung. Das Leben scheint ruhiger zu verlaufen; man lässt das vergangene Jahr Revue passieren und spekuliert, was das neue wohl bringen möge. Die guten Wünsche und Vorsätze sind meist schnell vergessen, aber eine Anregung der Schriftstellerin Thea Dorn geht mir die ganze Woche nicht aus dem Kopf: man solle die Zuversicht trainieren wie einen Muskel. Statt sich in der “German Angst” immer weiter herunterziehen zu lassen, sollte man die Hoffnung nicht aufgeben – trotz aller berechtigter Zukunftssorgen. Das Buch dazu hat die Wissenschaftlerin Hannah Ritchie geschrieben: “Hoffnung für Verzweifelte. Wie wir als erste Generation die Erde zu einem besseren Ort machen” (Piper)
Dass nicht alle Mitmenschen hierzulande das neue Jahr freudig & friedlich beginnen wollen, scheint ein deutsches Problem zu sein. Während man in Sidney, London oder New York den Jahreswechsel mit prächtigen öffentlichen Feuerwerken feiert, nutzen hierzulande immer mehr vor allem Männer die Böllerei, um ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen. Wieder ganz vorne dabei die Bundeshauptstadt. 4.000 Polizisten waren im Einsatz, um Eskalationen oder Übergriffe auf Rettungskräfte zu verhindern. Fassungslos brachte es einer von ihnen auf den Begriff: “Die haben Silvester mit Krieg verwechselt”. Statt endlich ein Böllerverbot durchzusetzen, eiern viele Politiker herum. Der Regierende Bürgermeister der Stadt, Kai Wegener, lehnt das ab und möchte stattdessen das Waffenrecht verschärfen. Kugelbomben, die einige Menschen das Leben kosteten und schwerste Verletzungen hervorriefen, und Straßenschlachten, die ganze Häuser in der Nacht unbewohnbar machten, haben mit dem viel beschworenen Brauchtum und dem Spaß an einer Silvesterknallerei nichts mehr zu tun. Dieser (auch ökologische) Wahnsinn muss ein Ende haben!
Aus gutem Grund fuhren wir am Silvesterabend mit dem Auto zum Tempodrom. Öffentliche Räume beherrscht von Böllergangs und die Fahrt mit der U-Bahn meiden wir an diesem Abend. Im 20. Jahr tritt der Circus Roncalli hier mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin auf; diese Kooperation verdankt sich übrigens einem Fehler beim Buchen, denn Roncalli und das DSO bekamen 2004 beide den Zuschlag für diese Location am 31. Dezember. Was tun? Man entwickelte ein gemeinsames Programm und hat damit seit Jahren großen Erfolg. Auch diesmal ist das Publikum wieder begeistert von den fantastischen Artisten, die ohne Zuversicht ihre riskanten & schwindelerregenden Nummern nicht vollbringen könnten. Beschwingt fahren wir nach Hause, stoßen erst kurz nach Mitternacht an, freuen uns an ein paar Wunderkerzen und auf 2025, zuversichtlich!
Erk Walter
Weitere Beiträge wahnundwerk.blog