
© Gianmarco Bresadola
Unterwegs in eine ungewisse Zukunft: „Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ von Robert Lepage an der Schaubühne.
Die Karten sind begehrt. Fast alle Aufführungen sind ausverkauft. Das Publikum ist neugierig auf die fünfstündige Inszenierung “Glaube, Geld, Liebe und Krieg” von Robert Lepage an der Berliner Schaubühne. Der legendäre Regisseur hat erstmals ein Stück mit den Schauspieler:innen dieses Theaters erarbeitet, das zum Glück das harte Spardiktat des Senats dieses Mal überstehen konnte; die nächsten Kürzungen sind bereits für 2026 angekündigt. Mit dieser Schauspieltruppe hat Lepage im Verlauf eines Jahres ein Stück erarbeitet, das eine verschlungene Geschichte über achtzig Jahre erzählt. “Ich interessiere mich”, erzählt er im Programmheft, “für die ständige Unsicherheit, in der wir Menschen leben. Die Unsicherheit bringt uns dazu, Pläne zu schmieden, Versicherungen abzuschließen, aber dann zerstören Kräfte, die größer sind als wir, unsere Pläne und verändern alles.” Nicht treffender könnte man die Stimmung im Lande derzeit beschreiben.
Die Geschichte gleicht einer Skizze, hätte dringend vertieft und verdichtet werden müssen, schlägt immer neue Volten, will zu viel erzählen. Daran krankt der (allzu) lange Abend. Mal sind wir bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung, dann flüchtet sich eine Frau aus ihrer Ehe in die Spielsucht, ein Zauberer tritt auf, die Liebe eines Soldaten im Afghanistankrieg zu seinem Hund wird erzählt, schließlich möchte ein homosexuelles Paar ein Kind und nutzt das billigste Angebot: die Dienste einer ukrainischen Leihmutter. Die Eizellenspenderin ist die Ex eines der Männer, lebt inzwischen in Amerika und entschlüsselt am Ende das aberwitzige Personengeflecht. Nur sieben Schauspieler:innen stemmen hervorragend den Abend, Bühnenbild & Videoinstallation beeindrucken mit wenigen Mitteln, aber nur der vierte Teil “Krieg” kann mich fesseln. Nicht wegen der Story, sondern weil wir plötzlich in unserer Gegenwart angekommen sind.
“Die Geschichte schreitet blitzschnell voran, und alles, was die Menschen für normal halten, verändert sich unentwegt.” (Lepage) Der kommende US-Präsident möchte Grönland und den Panama-Kanal und Kanada sogar als 51. US-Bundesstaat. Geht’s noch? Dass Populisten derzeit Hochkonjunktur haben, ist kein Zufall. Sie versprechen einfache Lösungen, die nicht zu haben sind. Die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ist knüppelhart, längst werden die Standards nicht mehr in Europa gesetzt. Immer stärker geben die Chinesen die Richtung vor, etwa bei der E-Mobilität. Die Börse ist dafür ein Sensor. Nicht mehr die Dickschiffe aus der Auto- und Chemiebranche zählen zu den wertvollsten deutschen Unternehmen: SAP hat alle abgehängt und macht allein 40% des Gewinns aller DAX-Unternehmen, zumeist im Ausland. Das Geschäftsmodell Deutschland funktioniert nicht mehr. Im Interview mit dem Deutschlandfunk erinnert Michael Hüther, der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, daran, dass die Vollzeitarbeitnehmer in der Schweiz pro Jahr 249 Stunden mehr arbeiten als ihre Kollegen hierzulande. Um noch einmal Lepage zu zitieren: “Für jede Generation werden die Karten neu gemischt, neue Chancen, neue Hindernisse.” Zumindest fair sollte es dabei zugehen. Glück auf 2025!
Erk Walter
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