© Christian Schulz, Schramm Film
Auf der Suche nach sich selbst und einem Thema: Thomas Schubert (Leon) in "Roter Himmel" von Christian Petzold.
Damit hätte vor einem Jahr niemand gerechnet. Der Angriffskrieg Russlands auf die ganze Ukraine, die nach Meinung von Zar Putin "von den Nazis befreit werden" muss, dauert nun schon ein Jahr. Ausgang ungewiss. Immer mehr Flüchtlinge kommen in die EU-Länder, die Inflation ist höher denn je nach dem Zweiten Weltkrieg, wir sind (noch) in einer milden Rezession. Womöglich geht der Krieg in einen frozen conflict über, womöglich geht den Unterstützer-Staaten der Ukraine irgendwann das Geld aus, oder die Zustimmung der Bevölkerung bricht ein. Amerika soll dieser Krieg schon 30 Milliarden Dollar gekostet haben! Alte und neue Militärexperten wie etwa Anton Hofreiter von den Grünen führen das große Wort. Um so wichtiger, dass sich in der Süddeutschen Zeitung (15.02.23) erneut der Philosoph & Soziologe Jürgen Habermas zu Wort gemeldet hat.
Seine nüchterne und wohl bedachte Analyse der Lage unterscheidet sich angenehm von den Parolen der "Bellizisten" jedweder Couleur. Nun weiß Habermas natürlich, dass einem Putin nicht mit dem "zwanglosen Zwang des besseren Arguments" beizukommen ist. "Für die Regierung Biden tickt die Uhr", analysiert er. "Schon dieser Gedanke müsste uns nahelegen, auf energische Versuche zu drängen, Verhandlungen zu beginnen und nach einer Kompromisslösung zu suchen, die der russischen Seite keinen über die Zeit vor dem Kriegsbeginn hinausreichenden territorialen Gewinn beschert und doch ihr Gesicht zu wahren erlaubt." Die chinesische Friedensinitiative von Kaiser Xi Jinping sollte man nicht überbewerten, aber sie zielt - unter Wahrung der Interessen dieser Großmacht - zumindest in die richtige Richtung. Wie Indien hat sich China bei der Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine durch die UN-Vollversammmlung der Stimme enthalten.
Natürlich sind die Ukraine und ihr medial ausgebuffter Präsident Selenskyi auch auf der Berlinale präsent, die nach den Jahren der Pandemie wieder ganz normal stattfinden kann. Die Digitalisierung der Festivalorganisation ist für das Publikum und die Kritiker aus aller Welt ein Segen - gebucht wird mobil oder am Rechner. Freilich krankt die Berlinale weiter an ihrem Aushängeschild. Im Wettbewerb sind zu viele schwache Filme. Warum dort überhaupt Animationsfilme und Dokus laufen, ist mir nicht nachvollziehbar. Weniger wäre mehr gewesen. Vielleicht gewinnt ja in diesem Jahr der neue Film von Christian Petzold, der mit leichter Hand die vielschichtige Begegnung von vier jungen Leuten an der Ostsee erzählt. Einer von ihnen ist Leon, ein junger Schriftsteller in einer Schaffenskrise, den Thomas Schubert so spielt, als würde er nicht spielen. Ein Film wie das Leben, dessen Verlauf niemand kennt. "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?" Womöglich würde "Roter Himmel" sogar Thomas Bernhard gefallen.
Erk Walter
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