© Rolf Hiller
„Ist der Mai kühl und nass, füllt‘s dem Bauern Scheun und Fass.“ (Bauernregel). In Südfrankreich muss Wasser rationiert werden.
Plötzlich rennen alle los. Weil man bei der Deutschen Bahn auf jede Überraschung gefasst sein muss, beeile auch ich mich am Frankfurter Hauptbahnhof, durch eine Unterführung aufs nächste Gleis zu kommen. Herdentrieb. Die anderen Fahrgäste hatten wohl eine Nachricht aufs Handy bekommen oder den DB Navigator gecheckt. Für alle "Unwissenden" kommt dann die Durchsage, dass der ICE heute auf einem anderen Gleis abfährt. Die Fahrt nach Kassel wird länger dauern als üblich, weil der Abschnitt zwischen Fulda und Kassel in einem Rutsch saniert wird. Es dauert also länger, und der Zug zuckelt teils sehr gemächlich durch Hessen, ohne WLAN. Einmal bleiben wir auf freier Strecke stehen, die Aussicht ist idyllisch. Ich habe ein ganzes Abteil für mich alleine und genieße diese Umleitung. Ab Sonntag ist erst einmal Schluss mit Idylle. Die EVG wird 50 Stunden streiken - für höhere Löhne ihrer Mitarbeitenden und um sich gegen die Konkurrenten von der GDL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) zu positionieren; die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft hat in den letzten Jahren gut ein Fünftel ihrer Mitglieder verloren.
Die Reputation der Deutschen Filmakademie steht gleichfalls auf dem Spiel. Sie vergibt jährlich die Lola genannten deutschen Filmpreise und hat mit ihren Nominierungen heuer allenthalben für Verwunderung gesorgt. Der bei der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Film "Roter Himmel" von Thomas Petzold kam noch nicht einmal in die Vorauswahl für die Nominierung, Lars Kraumes "Der vermessene Mensch" schaffte es nur mit einer "Wildcard". Und hier geht es nicht nur um die Ehre. Schon die Nominierungen, vor allem dann aber die Preise sind mit nennenswerten Summen aus der öffentlichen Filmförderung verbunden. Es ist etwas faul im Subventionsstaat Deutschland. Das bringt Edward Berger, der mit seiner deutschen Netflix-Produktion "Im Westen nichts Neues" als großer Lola-Favorit gilt, deutlich auf den Punkt: "Es ist einfach peinlich, wenn ein Film, der auf der Berlinale einen der Hauptpreise gewinnt, von der Filmakademie nicht einmal für die erste Stufe beim Nominierungsverfahren für würdig befunden wird." (Tagesspiegel, 11.05.23)
Nicht nur der Streik der EVG wird die nächste Woche bestimmen. Am Wochenende wird in der großen Türkei und im kleinen Bremen gewählt. Schafft es ein sehr heterogenes Bündnis, Erdogan abzuwählen? Würde der autokratisch auftretende Präsident seine Niederlage akzeptieren? Kann sich in Bremen die rot-grün-rote Koalition mit dem Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) halten? Bekommen Die Grünen in der fahrradfreundlichsten Großstadt der Republik einen Denkzettel wg. der Causa Graichen? Der Mai zeigt sich politisch alles andere als wonnig - Krisen & Probleme, wohin man schaut. Ob das Theater helfen kann? Parallel zur Verleihung der Deutschen Filmpreise heute Abend beginnt das 60. Berliner Theatertreffen mit der Inszenierung eines Romans von E.M.Forster. "In fast sieben Stunden entwerfen Philipp Stölzl und sein Ensemble ein temporeiches und vielschichtiges Gesellschafts- und Beziehungspanorama, das die New Yorker Gay Community porträtiert und Fragen nach Verantwortung und Respekt stellt", verspricht das Programmheft. Und drei Pausen. Fürs perfekte Theaterglück.
Erk Walter
Weitere Beiträge wahnundwerk.blog