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"Das Ereignis" mit der eindrucksvollen Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei ist eine kongeniale Verfilmung der literarischen Vorlage von Annie Ernaux.
Schöne neue Welt. Wir freuen uns über den Literaturnobelpreis für die Französin Annie Ernaux, stöbern bei Prime Video von Amazon - und finden dort "Das Ereignis", eine kongeniale Adaption ihres Werkes aus dem Jahr 2000. Der Film von Audrey Diwan mit der grandiosen Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei wurde im letzten Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet; im Wettbewerb der Berlinale sind Beiträge von solcher Wucht und Qualität leider nicht mehr zu erleben. Von einem Moment auf den anderen ändert sich das Leben einer jungen Frau. Sie ist ungewollt schwanger; auf Abtreibung steht in Frankreich 1963 eine Gefängnisstrafe. Diese Lage schildert Annie Ernaux in ihrer autofiktionalen Verdichtung auf 104 Seiten. Trotz ihrer Sympathie für den BDS interessiert mich diese Autorin. In einer nahe gelegenen Buchhandlung bekomme ich das letzte vorrätige Buch von Annie Ernaux und lese den schmalen Band "Das andere Mädchen" in einem Rutsch.
Die Erfahrung, dass plötzlich alles ganz anders ist, machen wir derzeit alle. Eine glühende Wagner-Verehrerin musste während der Premiere der "Götterdämmerung" wegen aufflammenden Fiebers fluchtartig die Berliner Staatsoper verlassen, meine Yoga-Stunde fiel wegen Corona aus, einen Geschäftspartner hat es erwischt - die Pandemie ist mit einer neuen Virus-Variante zurück, die Zahlen steigen rasant. Nun ist die Redakteurin dieser Zeilen positiv. Unsere Hausarztpraxis ist wegen Krankheit geschlossen, aber PCR-Tests werden ohnehin nicht mehr kostenlos gemacht, d.h. die in der Corona-Warn-App angezeigten Werte dürften deutlich höher liegen. Was tun? Ruhe bewahren und Masken tragen im öffentlichen Raum. Das machen wir schon immer, und unsere Freundin, die es ziemlich erwischt hat, hat sich vorgenommen: "Ich werde NIE wieder ohne FFP2 Maske irgendwo hin gehen. Vier Mal geimpft, ich dachte, ich bin auf der sicheren Seite. Ich schäme mich wirklich."
Wenn es doch "nur" die Pandemie wäre? Wohin man schaut, es türmen sich die Probleme. Der Ukrainekrieg dauert nun fast schon acht Monate, es kommen mehr Flüchtlinge nach Deutschland als 2015/2016, die Wirtschafts- und Energiekrise wird eine Sozialkrise auslösen, die Inflation ist da, die Rezession kommt, gleichzeitig werden händeringend Fachkräfte gesucht, und es werden zu wenig Wohnungen gebaut. Was denn noch? Durch die Wahl in Niedersachsen gerät die Ampel noch weiter unter Druck. Es passt noch weniger zusammen, als es beim Start vor einem Jahr zusammengepasst hat. In den Worten der Süddeutschen Zeitung: "Als FDP-Chef Christian Lindner nun seine Treue zur Koalition mit 'staatspolitischer Verantwortung' begründete, da dachte man an Eheleute, die es nur der Kinder wegen miteinander aushalten." (10.10.22) Zumindest scheint es eine Zukunft für das Neun-Euro-Ticket zu geben. Das brachte zwar ökologisch fast nichts, ist sozial unausgewogen, hat aber die Mobilität im bundesweiten Tarifdschungel des ÖPNV vereinfacht. Wenigstens das ist sicher.
Erk Walter
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