© Gitti Grünkopf
Standing Ovations für „La Mehrling“ in der Berliner Bar jeder Vernunft.
Da haben wir damals wirklich etwas verpasst. Ende der 1970er Jahre wohnte ich mit einem Freund in Frankfurt Bergen-Enkheim. Unweit unserer Wohnung in der Kirchgasse gab es die “Tenne”, der wir als Provinzdisco keinerlei Beachtung schenkten. Das war ein Fehler, denn wir hätten dort Grit von Osthe erleben können und vielleicht ihre Tochter Katharine Mehrling, die gewissermaßen in dem Schuppen aufgewachsen ist. Über 40 Jahre später ist sie selbst längst ein Star geworden. Persönliche Geschichten mischt sie immer wieder in ihr knapp dreistündiges und höchst abwechslungsreiches Programm “Drei Nächte” in der Bar jeder Vernunft, positioniert sich aber auch ganz klar gegen gravierende Sparvorgaben des Berliner Senats für die Kultur. Ihren wunderbar leichten und tiefen Abend beschließen sie und ihr Trio mit „Je ne regrette rien” von Edith Piaf. Charles Dumont, der Komponist dieses Chansons, ist am 18. November im Alter von 95 Jahren gestorben, und “La Mehrling” erzählt von einer Begegnung mit ihm. Standing Ovations für einen Abend der Extraklasse.
Die Realität der nächsten Tage ist um so bitterer – 12,5% werden der Berliner Kulturverwaltung aus dem Etat gestrichen. Dem Regierenden Bürgermeister der Stadt, Kai Wegner, und dem Bürgermeister und Senator für Finanzen, Stefan Evers (beide CDU), sind die Konsequenzen dieser Kürzung in nie dagewesener Höhe entweder nicht bewusst oder schlichtweg egal. Schon kursieren Gerüchte, die renommierte Schaubühne stehe vor der Insolvenz, und das Deutsche Theater müsse schließen. Wider jede wirtschaftliche Vernunft gibt es einen Baustopp bei der Sanierung der Komischen Oper – spart im nächsten Jahr 10 Millionen und verursacht um so höhere Folgekosten. Was die Kulturschaffenden zu Recht empört: die Kahlschläger haben dezisionistisch und ohne Sachkunde entschieden, anstatt das Gespräch mit den Machern zu suchen. Eine ganz schlechte Figur macht dabei der Kultursenator Joe Chialo, der mit gutem Grund erst einmal alle anstehenden öffentlichen Termine abgesagt hat. Für Patrick Wildermann “agiert auf dem so wichtigen Posten des Kultursenators ein wahlweise überforderter oder desinteressierter Quereinsteiger ohne gewachsene politische Netze und Erfahrung.” (Tagesspiegel, 21.10.24)
Wenn es das Deutsche Theater einfach nicht mehr geben sollte …, geht es mir nach einem überaus kurzweiligen und sehr gut besuchten Pollesch-Abend dort durch den Kopf. Das witzige und oft nur klamaukige Stück “Liebe, einfach außerirdisch” lebt von der hinreißenden Sophie Rois – sie spielt einen unkonventionellen Alien – und Trystan Pütter, der einen gutmütig weltfremden Wissenschaftler gibt. Voll schräger Volten ist der Text, wie ihn wohl nur ein René Pollesch zustande bringen konnte. „Was’n Scheiß”, wispert es immer wieder von hinten, während wir über die Zeilen “Gestapo in Schweden” stolpern. Da passt oft nichts zusammen und soll es auch gar nicht. Wie in der kleinen & großen Berliner Politik. Während die Kahlschläger Berlin als Kulturhauptstadt schleifen, zerlegt sich die SPD mit ihrem Kanzler-Theater wieder einmal selbst. Nun soll doch Olaf Scholz den Kandidaten geben; und er ist felsenfest davon überzeugt, dass ihm und der SPD noch einmal die Aufholjagd gelingen kann; derzeit steht die Union bei 33% und die SPD bei 14%. Lustig ist derzeit wenig.
Erk Walter
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