© Rolf Hiller
Ein glanzvoller Auftakt in eine ungewisse Saison: die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko müssen vor dreiviertel leeren Rängen spielen.
Endlich dürfen sie wieder spielen, aber alles ist anders in Zeiten der Pandemie. Wir können erst eine halbe Stunde vor dem Konzert in die Berliner Philharmonie und werden mit einem neuen Farbleitsystem zu unserem Block geführt. Bevor wir an unsere Plätze gebracht werden, bekommen wir noch ein Blatt zur Angabe unserer Personalien; selbstverständlich sind alle maskiert. Erst wenn die Musiker*innen die Bühne betreten haben, darf das Publikum die Masken ablegen. Es gibt keine Pause und keinen gastronomischen Service. Und wir haben Platz: nur ein Viertel der 2.250 Plätze darf belegt werden.
Dann endlich beginnt das langersehnte Konzert. Die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko eröffnen diese ganz besondere Saison mit "Verklärte Nacht" von Arnold Schönberg in der Fassung für Streichorchester. Im Anschluss dann gleich Johannes Brahms' 4. Symphonie. Selten haben wir so ein konzentriertes Publikum erlebt - kein Mucks ist zu hören, wie gebannt verfolgen wir die traumschöne, vielschichtig nuancierte Musik, die man wahrer nicht spielen kann. Am Ende kommt noch einmal der Dirigent allein auf die Bühne; Kirill Petrenko wirkt sichtlich gelöst und verbeugt sich nach allen Seiten. Ein verheißungsvoller Auftakt, der indes nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Konzerte mit so wenig zugelassenem Publikum sich nie & nimmer rechnen. Die Verluste wären kleiner, wenn die Gäste im Abstand von einem Meter in der sog. Schachbrettplatzierung sitzen dürften. Das ist in Nordrhein-Westfalen erlaubt und wurde soeben mit Bravour bei den Salzburger Festspielen erprobt.
Wir werden mit dieser Pandemie leben müssen, und wir lernen jeden Tag dazu. Vor zwei Tagen zitierte "Bild" den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei einem Auftritt in Bocholt mit den Worten: „Man würde mit dem Wissen von heute, das kann ich Ihnen sagen, keine Friseure mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen. Das wird nicht noch einmal passieren." Es bleibt zu hoffen, dass die Hygiene- und Sicherheitskonzepte der Veranstalter von der Politik endlich anerkannt & unterstützt werden. Jede Bahnfahrt ist riskanter als jeder Besuch eines gesetzten Konzerts oder Theaterstücks! Derzeit erhitzt die Gemüter aber mehr ein anderes Thema: die Vergiftung des russischen Regimekritikers Nawalny. Zar Wladimir gilt als exzellenter Schachspieler. Warum hat er einer Verlegung von Alexei Nawalny nach Deutschland zugestimmt? Eine bewusste Provokation? Oder kannte Putin nicht die Details? Beunruhigend ist das allemal.
Erk Walter
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