Hamlet oder Hitchcock - das war keine Frage. Eigentlich haben wir uns zur Eröffnung des Berliner Theatertreffens verabredet, das heuer als "Special Edition" nur im Netz stattfinden kann. Dann werden wir schwach und lassen James Stewart und Doris Day den Vortritt: herrlich wieder einmal "Der Mann, der zuviel wusste". Tags drauf beweisen wir mehr Charakter und schauen uns die hochgelobte Bochumer Inszenierung des "Hamlet" von Johann Simon an, mit der umwerfenden Sandra Hüller in der Hauptrolle. Wir sind beeindruckt, werden aber vom abgefilmten Theater wieder nicht in den Bann gezogen - trotz Beamer und gutem Ton. Streaming von Bühnenereignissen ist und bleibt ein Verlust: für die Künstler*innen und ihr Publikum.
Hoffnung ist leider nicht in Sicht. Nach dem rigorosen Shutdown überbieten sich die Ministerpräsident*innen in "Lockerungsorgien". Um 0 Uhr öffneten am Montag die ersten Friseursalons, mit den weiterhin geltenden Hygiene- und Abstandsregeln scheint fast alles wieder möglich - nur kein Kino, Konzert und Theater. Anders als die Bundesliga ist die Kultur eben nicht systemrelevant, obwohl allein die 600 Sommerfestivals im Lande für viele Regionen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Autokinos und Museen (Einlass nur per Voranmeldung) sind zumindest ein Anfang, aber eine richtige Lösung für Bühnen, Konzerthäuser und Clubs ist nicht in Sicht. Müssen wir irgendwann unterschreiben, auf eigenes Risiko eine Live-Veranstaltung zu besuchen, ein Plexiglas-Visier tragen und eine Zusatzversicherung abschließen? Schöne, neue Welt.
Derweil sind unsere Gesundheitsämter heillos überfordert, mit dem Virus Infizierte zu betreuen. Unserem "Mann in den besten Jahren" (s. Beitrag vom 1.Mai 2020) geht es inzwischen zum Glück wieder besser, aber seine Erfahrungen mit dem deutschen Gesundheitssystem sind ernüchternd. "Vier verschiedene Sachbearbeiter," schrieb er gestern, "wollten meinen Fall jeweils neu aufnehmen. Nie haben die Personen von sich aus gefragt, ob ich zufälligerweise Angehörige habe (die zum Beispiel zur Schule gehen). Tests seien für meine Familienmitglieder grundsätzlich nicht vorgesehen. Und zur medizinischen Begleitung eines Covid-19-Erkrankten sieht sich ebensowenig irgendjemand imstande. Die Hotline, die man bei Atemnot anrufen kann, ist leider nicht durchgehend besetzt. Frustrierende Einblicke ins Behördenwesen haben wir alle gewonnen. Sollte die Zahl der Infizierten tatsächlich mal stark steigen, weiß ich nicht, wie ruhig alle Betroffenen mit dieser Ausnahmesituation umzugehen in der Lage sein werden." Das Robert-Koch-Institut stellt per sofort seine täglichen Pressekonferenzen ein und setzt damit seinen erratischen Kurs konsequent fort, als sei die C-Krise zu Ende. Dabei ist weiter nichts mehr normal im Staate Deutschland.
Erk Walter
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