© Rolf Hiller
Standing Ovations für Ioana Mallwitz und das Konzerthausorchester Berlin beim Antrittskonzert der neuen Chefdirigentin.
Wir sind dabei. Das erste Konzert von Joana Mallwitz ist restlos ausverkauft. Sie ist die neue Chefdirigentin des Konzerthausorchester Berlin, das seine gesamte Kommunikation auf sie abgestellt hat. In der aufwändig gestalteten Saisonbroschüre ist sie auf dem Cover und wird ausführlich vorgestellt. Die Marketingabteilung hat ganze Arbeit geleistet, nun muss Joana Mallwitz (Jahrgang 1986) liefern. Sie hat erfolgreich in Erfurt und Nürnberg gearbeitet und wurde 2019 vom Fachmagazin “Opernwelt” zur Dirigentin des Jahres gewählt. Für ihr Antrittskonzert in der Hauptstadt hat sie sich drei erste Sinfonien ausgewählt von Prokofjew, Weill und Mahler. Noch nie haben wir solch ein expressives Dirigat erlebt. Joana Mallwitz braucht keine Noten und macht uns trotzdem jedes Detail der Partitur sichtbar. Keinen Moment kommt sie zur Ruhe, im Gegenteil: für sie dürfte das Podest locker doppelt so groß sein. Nach zwei Stunden ist die Ausdruckstänzerin vollkommen ausgepowert und glücklich. Standing Ovations. Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo pfeift begeistert. Die kundige ARD-Kulturkorrespondentin Maria Ossowski bringt es in ihrer Kritik auf den Punkt: “Madonna statt Maestro”.
Joana Mallwitz kommt authentisch rüber; das kann man von Hubert Aiwanger (Jahrgang 1971) nicht behaupten. Den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister im Freistaat holt gerade seine Vergangenheit ein. In seinem Schulranzen verwahrte er antisemitische Hetzschriften (seines Bruders) auf und irritierte seine Klassenkameraden gelegentlich mit dem Hitlergruß. Anstatt sich dazu zu bekennen und sich zu entschuldigen, laviert der Vorsitzende der Freien Wähler in Bayern wenig überzeugend herum. Ein Problem hat damit erst recht der Söder Markus (CSU), der mit den Freien Wählern in Bayern regiert und nach der Landtagswahl am 8. Oktober mit ihnen weitermachen möchte. Mit den Grünen will der bayerische Ministerpräsident, der einst Bäume umarmte, auf keinen Fall regieren. Das dürfte so wenig passen wie die Verbindung in Berlin, wo die Ampelparteien aktuell zusammen bei 36% Zustimmung liegen. Noch niederschmetternder: nur noch jeder Fünfte ist mit der Regierungsarbeit der Koalition zufrieden (infratest dimap). Die AfD steht bei 22% - der Rechtsradikalismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren begann ich diesen Blog, den mir mein Freund Axel eingerichtet hatte. Erst als Tagebuch unserer Amerikareise, dann als wöchentliche Kolumne jeden Freitag, persönlich, aber nicht privat. Dieses Schreiben ist mir eine liebe Pflicht geworden, eine Reflexion der Zeit in der Spanne einer Woche. Das Innehalten, das Sortieren der Eindrücke, Einsichten & Erlebnisse möchte ich nicht mehr missen; es hat meine privaten “Notizen” fast ersetzt, leider. Denn diese Aufzeichnungen sind nicht für Leser:innen geschrieben. Gelegentlich lese ich alte Beiträge in “Wahn und Werk” und bin immer zufrieden, wenn sie heute noch bestehen können. Die Protokolle der Corona-Zeit überraschen mich dabei immer wieder. Ab September wird es einen neuen Impfstoff geben. Im Konzerthaus gestern und auf der Bahnreise diese Woche waren schon wieder Maskenträger:innen zu sehen. Das Virus wird weiter mutieren und niemals mehr verschwinden. Keine tröstliche Gewissheit.
Erk Walter
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