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Perfect Days gibt's derzeit nur im Kino in dem wunderbaren Film von Wim Wenders mit Koji Yakusho in der Hauptrolle.
Einmal sagt die Besitzerin eines kleinen Restaurants in dem wunderbaren Film “Perfect Days” von Wim Wenders: “Warum kann nicht alles so bleiben, wie es ist.” Oder wie es einmal gewesen ist, als die Welt vermeintlich noch in Ordnung war. Gewissenhaft erledigt ein Toilettenmann in Tokio seinen Job; sein Leben & seine Tage verlaufen in ruhigem Gleichmaß. Meisterhaft erzählt der Regisseur diese Geschichte ohne Längen, obwohl fast nichts passiert in den zwei Stunden. Koji Yakusho spielt diesen Toilettenmann, als würde er gar nicht spielen. Gebannt verfolgt das Publikum seinen fast immergleichen Alltag, den Wenders immer wieder neu erzählt. Aufstehen, Bett machen, rasieren, Kaffee aus dem Automaten, in den Lieferwagen, auf der Fahrt zur Arbeit alte Kassetten hören (der Titelsong stammt von Lou Reed), Mittagspause im Park, mit einer analogen Kamera Bilder vom Blätterdach eines Baumes machen, ohne durch die Linse zu schauen, etwas essen gehen, im Bett noch in einem Buch lesen, einschlafen. Hirayama von “The Tokyo Toilet” redet wenig und wenn überhaupt sehr bedächtig.
Natürlich passiert noch ein bisschen mehr im Leben dieses Philosophen, der unerschütterlich in sich ruht – ein moderner Diogenes. Dass solch ein Leben gelingen könnte in Zeiten wie diesen zieht das Publikum sanft in seinen Bann. “Perfect Days” schauen wir uns im gut besuchten Delphi an, für viele das schönste Kino Berlins. In diesem Gebäude fand die erste Ausstellung der Berliner Secession statt, hier stellte der norwegische Maler Edvard Munch 1902 seine damals schockierenden Bilder seelischer Zustände aus. Sein Debüt in Berlin wenige Jahre zuvor hatte einen handfesten Skandal ausgelöst. Die Ausstellung wurde nach wenigen Tagen geschlossen und machten den Maler berühmt. Glücklich wurde er aber nie. “Ich habe gleichwohl das Gefühl”, notierte er, “dass alle Lebensangst eine Notwendigkeit für mich ist ebenso wie die Krankheit. Ohne Lebensangst und Krankheit wäre ich wie ein Schiff ohne Steuer.”
Diogenes oder Munch. Wir sehnen uns alle nach Perfect Days und müssen bloß die Nachrichten hören und bekommen Lebensangst. Die Konsequenzen des Klimawandels sind mit Händen zu greifen; fast das ganze Bundesland Niedersachsen steht unter Wasser. Die Kämpfe um die knapper werdenden staatlichen Mittel eskalieren. Der Wirtschaftsminister Robert Habeck, immer offen für Gespräch und Reflexion, wurde von aufgebrachten Bauern am Verlassen einer Fähre gehindert. Die Zustimmung für die Unterstützung der Ukraine schwindet, die Umfragewerte der AfD steigen. Das Ansehen der Ampelkoalition ist im freien Fall, Scholz’ Beliebtheit sinkt immer weiter. Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland bröckelt, weltweit sind Populisten, Autokraten und Diktatoren auf dem Vormarsch. Keine Perfect Days nirgends. Immanuel Kant, dessen 300. Geburtstag am 22. April ansteht, soll dennoch und wie hier schon vor zwei Jahren das letzte Wort behalten: “Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.“
Erk Walter
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