© ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film/Andreas H. Bitesnich
Ganz großes Fernsehen. Sebastian Koch spielt in „Euer Ehren“ einen Richter, der zunehmend die Kontrolle über sein Leben verliert.
Widersprüche müssen wir aushalten. Wir leben unser „normales“ Leben weiter, während die russische Armee in der Ukraine wütet und Völkermord begeht, wie der amerikanische Präsident Joe Biden (ganz undiplomatisch) befand. Die globalen Folgen dieses Krieges kann derzeit niemand abschätzen. Dass hierzulande die Preise massiv ansteigen und die Inflation, ist eine Folge, in anderen Teilen der Welt drohen Hungersnöte. Denn die Ukraine, aber auch Russland werden in diesem Jahr deutlich weniger Getreide exportieren. Bei uns hingegen wird ein großer Teil des Getreides (noch) als Tierfutter verwendet oder dient zur Herstellung von Biokraftstoff. Längst wissen wir alle, was zu tun wäre – weniger Fleisch essen, weniger Auto fahren. Genauso konfrontiert mich Corona täglich mit Widersprüchen. Im mäßig besuchten Chorkonzert trage ich eine Maske, im voll besetzten Raum beim Yoga nicht. Freunde begrüße ich nur noch mit einer Verbeugung, dann sitzen wir stundenlang beim Essen und erzählen. Das Bewusstsein von Widersprüchen birgt ihre Auflösung.
Manchmal aber nehmen die Ereignisse eine verhängnisvolle Entwicklung. Plötzlich gerät das Leben eines Mannes aus den Fugen. Je mehr er sich dagegen wehrt, um so mehr verstrickt er sich. Glänzend verkörpert Sebastian Koch einen Richter, dessen Sohn ohne Führerschein einen folgenschweren Unfall mit Fahrerflucht begeht. Er versucht die Tat zu vertuschen, verwickelt sich immer mehr, wird selbst zum Täter. Wie sich herausstellt, ist das Opfer der Sohn eines serbischen Clanchefs, den er vor Jahren hinter Gittern brachte. Die komplexe Geschichte mit vielschichtig angelegten Charakteren entwickelt von Beginn an eine Sogwirkung. „Euer Ehren“ (ARD Mediathek) ist eine Adaption der israelischen Vorlage „Kvod“ und durchweg gelungen. Überzeugende Schauspieler, neben Sebastian Koch etwa Paula Beer und Tobias Moretti, ein gutes Drehbuch, eine starke Regie (beides David Nawrath), tolle Bilder und eine grandiose Filmmusik. Dieser TV-Krimi setzt neue Maßstäbe, und wir fiebern schon dem Finale des Sechsteilers entgegen. Ganz großes Fernsehen!
Hätte der Richter sich nicht überschätzt und versucht, die Tat zu vertuschen, sondern sich professionelle Hilfe gesucht, beim Anwalt oder sogar bei der befreundeten Polizistin, hätte diese Geschichte einen anderen Verlauf genommen. Das gilt sicher auch für die Familienministerin a.D. Anne Spiegel, die versuchte, erst ihre SMS-Kommunikation zu beschönigen und dann ihren Familienurlaub zu rechtfertigen. Nach Katastrophen wie im Ahrtal letztes Jahr feixt man nicht wie Armin Laschet oder verschwindet einen Monat in die Ferien. Spiegel hätte sich professionell durch diesen Prozess begleiten lassen sollen, um ihre persönliche Integrität zu wahren. Ob ihre Partei Die Grünen sie dann gehalten hätte, steht dahin. Mir tat Anne Spiegel trotz ihrer Fehler am Ende leid; so viel Häme – von Bild-TV und anderen – hat sie ertragen müssen. Wer die Kontrolle über seine mediale Performance verliert, der hat schon verloren. Die beliebtesten Politiker:innen sind laut ARD-DeutschlandTREND gerade Robert Habeck und Annalena Baerbock vor Olaf Scholz. Nach seiner Zeitenwende-Rede kam vom Kanzler nicht mehr viel. Und das ist zu wenig.
Erk Walter
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