Würde auf dem Kopf reicht nicht. Photo by Yaroslav Danylchenko on Pexels.com
Den 1. März wollen wir uns rot anstreichen im Kalender: die Frisöre dürfen uns dann unsere Würde wiedergeben und jede*r darf sich kostenlos testen lassen. Erst zum Barbier und dann zum Test oder umgekehrt. Während das Procedere im Salon klar ist, wird die Sache mit dem Testen unklarer, je genauer man hinschaut. Dürfen ängstliche Menschen jeden Tag gehen? Was passiert, wenn mein Test positiv ist? Muss ich das Ergebnis dem Gesundheitsamt melden und begebe mich in Selbstisolation? Wie komme ich zu einem PCR-Test, der ein verlässliches Ergebnis bietet? Dass wir eine Erkrankung keineswegs unterschätzen dürfen, belegt das Schicksal eines Ehepaares um die 60 in der Nachbarschaft, die sich bald nach Ausbruch der Pandemie infizierten. Ihre physische Konstitution schwankt extrem; mal fit wie einst, mal wacklig wie nach einer schweren Grippe. Er klagt seit langem über neurologische Ausfälle. Beide gehen jetzt in eine auf solche C-Spätfolgen spezialisierte Klinik.
"Die Friseuse rückt mir ja viel näher auf die Pelle als die Mona Lisa oder die Schuhverkäuferin", gibt der Moderator im Inforadio dem Risiko-Ethiker Julian Nida-Rümelin im Interview eine Steilvorlage. Dass seine Würde auf die Haartracht reduziert werde und riesige Museen leer stünden, erzürnt den Philosophen und ehemaligen Kulturstaatsminister, wie erwartet. Am Ende des erhellenden Gesprächs problematisiert Nida-Rümelin die "fetischartige Fixierung auf Inzidenzen". Es fehlten noch immer Kohortenstudien, und der Inzidenzwert sei de facto sicherlich dreimal so hoch, weil sich viel mehr Menschen angesteckt hätten als bekannt. Der Risiko-Ethiker schlägt stattdessen vor, sich bei der Bekämpfung der Pandemie an schweren Verläufen in Krankenhäusern und an den Todeszahlen zu orientieren. Die würden dramatisch sinken, wenn die Risikogruppen vollständig geimpft seien. Das ficht die Physikerin Viola Priesemann nicht an - sie berät die Kanzlerin und empfiehlt als Wert für sog. Lockerungen einen Inzidenzwert von 10 pro Woche, also 10 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner.
Nicht nur der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet möchte deshalb von der "Fixierung auf Inzidenzen" abrücken und hat damit untrüglich eine Stimmung im Lande aufgenommen; man dürfe nicht immer neue Grenzwerte "erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet." Dass diese Werte im Infektionsschutzgesetz festgelegt sind, schien er in diesem Moment genauso vergessen zu haben wie seine Einwilligung zur Verlängerung des Shutdown bei der letzten Bund-Länder-Runde. Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Gerade Politiker müssen sich an ihren Worten & Taten messen lassen, insbesondere wenn sie Kanzler werden wollen, egal mit welcher Fasson.
Erk Walter
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