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Eine Ampel-Koalition regiert jetzt in Deutschland.
Er zählt zu den wenigen verbliebenen Granden der CDU, sein Wort hat immer noch Gewicht, und er nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Rede ist vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. In kleiner Runde war ihm im Februar dieses Jahres herausgerutscht, er erwarte vom nächsten Bund-Länder-Treffen "ein furchtbares Durcheinander, ein wildes Gekläffe (...) und die Leute werden wahnsinnig." Damals brachte er die allherrschende Kakophonie treffend zum Ausdruck. Im aktuellen "Interview der Woche" im Deutschlandfunk blieb Bouffier seiner gradlinigen Art treu. Auf die Frage, warum entgegen allen Versprechungen nun doch höchst wahrscheinlich eine Impfpflicht komme, antwortete er ohne Umschweife: "Wir haben uns geirrt, wie die Drostens dieser Welt und alle anderen auch." Demut vor und in der Pandemie. Diese Lektion haben wir inzwischen begriffen; Irrtümer nicht ausgeschlossen.
Um ein Wort des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke zu modulieren: Erst wägen, dann sagen. Das gilt ganz besonders in der Politik. Bekanntlich hatte sich der neue Vizekanzler, Robert Habeck, in der ersten Euphorie nach der Bundestagswahl zu dem Versprechen hinreißen lassen, die erste Amtshandlung einer Regierung mit den Grünen sei ein allgemeines Tempolimit. Pustekuchen. Obwohl inzwischen die Mehrheit der Deutschen dafür ist, bleibt es bei der freien Fahrt für freie Bürger. Die FDP, die kleinste Ampel-Partei, hat sowohl das Verkehrs- als auch auch das wichtige Finanzministerium bekommen. Wie geht dem? reibt man sich verdutzt die Augen, schließlich bekamen Die Grünen 14,8 % der Stimmen, die FDP aber nur 11,5 %. Jede Politik ist Symbolpolitik. Dieser Wortbruch könnte den Grünen noch auf die Füße fallen, nicht zu reden von der eiskalten Entmachtung der Linken in der Partei. Die Euphorie des Frühlings ist längst verflogen, die Grünen in der neuen Regierung in Deutschland werden keine Zeit der Eingewöhnung haben.
Womöglich kommt wieder ein neuer Lockdown als Ultima Ratio, wenn die Lage auf den Intensivstationen außer Kontrolle gerät. Wieder alles dicht. Was tun? Schicksalsergeben Zurückhaltung üben oder die Kulturveranstalter unterstützen und ihre Angebote wahrnehmen. Zum Glück haben wir erfahren, dass ein ganz Großer des Jazz mit einem kleinen Festival geehrt wird. Der Pierre Boulez Saal hat einen Film über den amerikanischen Saxophonisten Charles Lloyd in Auftrag gegeben; an zwei weiteren Abenden stellt er sich mit unterschiedlichen Trios vor. Im gut besuchten Konzertraum (2G mit Maske) sitzt das Publikum ohne Abstand und lässt sich auf eine leise, indisch inspirierte Reise ein. Immer besser finden Zakir Hussein (Tabla) und Marvin Sewell (Gitarre) mit dem angenehm zurückhaltenden Bandleader zusammen; am Ende wird das Trio mit standing ovations verabschiedet. Das schön gestaltete Programmheft erinnert an das Second Golden Age des Musikers, der mit 83 Jahren kreativer denn je ist. Nach Riesenerfolgen in den 60er Jahren zog er sich Jahre lang von der Szene zurück. Die dreitägige "Charles Lloyd Celebration" im Pierre Boulez Saal in Berlin feiert einen Musiker, der seinen wahren Weg gefunden hat und stets für eine Entdeckung gut ist.
Das Album von 1967 mit u.a. Keith Jarrett und Jack deJohnette verkaufte sich über eine Million Mal. Nach diesem Erfolg unterbrach Charles Lloyd seine Karriere als Musiker und arbeitete über ein Jahrzehnt als Meditationslehrer.
Erk Walter
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