© Rolf Hiller
Ideale Projektionsfläche: der Raum mit den Sonnenblumen in der Ausstellung "Van Gogh Alive" ist selten leer.
Allein im Museum? Nicht wenn "Van Gogh Alive" zu erleben ist. Weltweit 8,5 Millionen Menschen sollen die Ausstellung gesehen haben, die clever gemacht ist. An einem Dienstagvormittag ist die Show unweit der Müllverbrennungsanlage im Frankfurter Westen schon gut besucht. Die meisten Besucher:innen verweilen im größten Raum, sitzen auf dem Boden oder haben es sich auf Sitzsäcken bequem gemacht und sind mittendrin im Flow der Bilder, die mehrere Projektoren an die Wände und auf den Boden werfen. Die Situation ist sehr entspannt und lässig, ganz anders als in einem "richtigen" Museum. Do what you like. Manche versinken in der Bilderflut oder lesen die kurzen erklärenden Texte. Ein Junge ist auf seinem Handy im Krieg, ein anderer kaum in der Lage, ein paar Sekunden ruhig zu liegen. Zumindest haben auch die beiden schon einmal von Vincent van Gogh (1853 - 1890) gehört, der heute ein Popstar wäre, zu Lebzeiten aber kaum ein Bild verkaufen konnte, immer wieder tiefste Krisen durchlitt und sich schließlich auf einem seiner geliebten Felder umbrachte.
Natürlich gehört zu Van Gogh Alive ein Raum mit Sonnenblumen und Spiegeln für Fotos & Selfies, im "Drawing Room" sind an diesem Morgen alle Plätze besetzt; die Ausstellung wurde gerade verlängert. "Ich kann die Tatsache nicht ändern, dass sich meine Bilder nicht verkaufen. Aber die Zeit wird kommen, in der die Menschen erkennen werden, dass sie mehr wert sind als das Geld für die Farbe, die ich darin verwendet habe." Dass sein Bild "Verger avec cyprès" 2022 für 117,2 Millionen Dollar verkauft wurde, hätte Vincent van Gogh nicht zu träumen gewagt. Der große Durchbruch blieb auch dem Pianisten Ahmad Jamal verwehrt, der am Sonntag gestorben ist und bis ins hohe Alter noch unterwegs war; leider habe ich ihn auf seiner letzten Tour in Deutschland verpasst. Ich höre mir sein Debütalbum "Ahmad Jamal Plays" aus dem Jahr 1955 an, das irgendwelche Marketingstrategen hochtrabend in "Chamber Music of the New Jazz" umbenannt haben, sicherlich nicht im Sinne des Künstlers.
Die letzten beiden Wochenenden im April werden bestimmt nicht im Zeichen eines unbeschwerten Frühlingserwachens stehen. Wieder gestreikt wird bei der Deutschen Bahn und an einigen Flughäfen; zudem hat die sog. Letzte Generation Aktionen in Berlin angekündigt, um auf die drohende Klimakatastrophe hinzuweisen, die zwei der drei Parteien der aktuellen Bundesregierung nicht sonderlich beunruhigt. Ob die spektakulären Proteste eher kontraproduktiv sind, wird sich weisen. Der gesunde Menschenverstand müsste auf der Seite der Letzten Generation stehen. Jede:r weiß, dass die Erderwärmung längst schon bei uns angekommen ist. Heute etwa kommentiert die FAZ: "Der Klimawandel verändert das Leben auch in Europa, auch schon jetzt und auch schneller als befürchtet. Noch vor wenigen Jahren hätte wohl niemand damit gerechnet, dass auch hierzulande einmal das Wasser knapp werden könnte. (...) Bäume statt Asphalt ist die Devise der Zeit, sonst wird das Wasser knapp." (21.04.23) Wer wollte da widersprechen?
Erk Walter
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