
© Rolf Hiller
Der Circus Roncalli entführt das Publikum in eine andere Welt.
Nicht zu heiß, trocken, und es weht ein laues Lüftchen. Ideale Voraussetzungen für das Sommerfest eines großen Konzertveranstalters in Berlin. Man sieht sich, man trifft sich, man amüsiert sich und plaudert. Diese Leichtigkeit muss sein. Und gerade in solchen Momenten können wir uns das Leben der Menschen in Kiew genauso wenig vorstellen wie einen Ernstfall in Deutschland. Sind wir gerüstet für einen tagelangen Stromausfall, wenn nichts mehr funktioniert? Trotzdem sorgen wir nicht vor und leben wider besseres Wissen. Das ist menschlich allzu menschlich und fatal zugleich. Irgendwann könnte sich diese Sorglosigkeit bitter rächen, irgendwann macht niemand mehr die Drecksarbeit für uns. Ganz undiplomatisch hat Kanzler Friedrich Merz den Lifestyle der Menschen auf den Begriff gebracht, die auf der sunny side of the street unterwegs sind. Ignoranz als Prinzip taugt indes nicht, wenn fanatische Ideologen wie Putin oder der iranische Ayatollah Ali Khamenei die Macht haben.
Taugen Vereinbarungen mit diesen Despoten? Dass man sich gegen einen Angriffskrieg verteidigen darf, regelt das Völkerrecht. Darf man ein Land angreifen, dessen Staatsdoktrin die Vernichtung des Angreifers festlegt. “Das erste Ziel der Mullahs in Teheran ist”, erinnert die “Welt am Sonntag, “die Auslöschung des Staates Israel. Ajatollah Chamenei hat Israel als ‚Krebsgeschwür‘ bezeichnet. Und auf Uhren in Teherans Straßen werden Countdowns bis zur ‚Zerstörung Israels‘ zelebriert. Israel aber ist nur das erste Ziel. Sobald Israel fällt, stehen Europa und Amerika im Fokus.” (15.06.25) Gibt es angesichts einer solchen Bedrohung das Recht auf eine pro-aktive Verteidigung? Völkerrechtlich sicher nicht, moralisch aber allemal. Dennoch bleibt die allenthalben gestellte Frage nach dem Ziel der Angriffe auf die iranischen Atomanlagen. Eine Destabilisierung der Lage in Vorderasien in einem Land mit 90 Millionen Einwohnern könnte fatale Folgen haben – nicht nur für Israel.
Einen Tag später sind wir beim Circus Roncalli, der wieder einmal in Frankfurt gastiert, und werden in eine andere Welt entführt, wenigstens für ein paar Stunden. Das Publikum lässt sich dankbar von den Clowns animieren und geht begeistert mit. Die Artist:innen riskieren in jeder Show Kopf und Kragen. Jedes Mal bin ich beeindruckt, dass Menschen Tag für Tag aus freien Stücken ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen. Nach den unbeschwert heiteren und leichten Stunden beim Circus Roncalli versteht man die Realität um so weniger. Die TAZ bringt es schlüssig auf den Punkt: „Mit dem Wort ‚Drecksarbeit‘ schnurrt das Dilemma, in dem sich die deutsche Nahostpolitik befindet, zu einem Wort zusammen. Ja, man will Israel gegen eine mögliche nukleare Bedrohung unterstützen. Ja, das iranische Regime ist eine Terrorherrschaft. Und trotzdem bleiben die Bombardierungen völkerrechtswidrig. Es wäre zu wünschen, dass die Debatte über den Umgang mit Iran nun so klar bliebe. Als Nächstes sollte Merz dann erklären, warum die Sanktionen gegen das Regime nicht durchgesetzt und die Revolutionsgarden nicht als Terrororganisation gelistet werden, aber noch bis Kriegsausbruch in den Iran abgeschoben wurde.” (20.06.25) Politik ist ein schmutziges Geschäft.
Erk Walter
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