© Arno Declair
Kongenial bringt der Regisseur Jossi Wieler in einer viel beachteten Uraufführung Elfriede Jelineks Text "Angabe der Person" im Deutschen Theater auf die Bühne - mit Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff, Linn Reusse
Unverhofft kommt oft. Ich möchte ein halbes Körnerbrot in einem Biomarkt mit einem 50-Euro-Schein bezahlen. Die freundliche Bedienung hat zu dieser frühen Stunde noch kein Wechselgeld in der Kasse; einer Kollegin von ihr geht es nicht besser. "Dann kann ich eben nichts kaufen", maule ich und will von dannen ziehen. Eine junge Frau schaltet sich ein. "Ich übernehme das auf meiner Karte", sagt sie locker. Ich danke überrascht und biete ihr meine letzten Münzen an. "Ist schon okay." "Dann übernehme ich beim nächsten Mal", gebe ich zurück. Wenn irgendjemand ein paar Cent an der Kasse fehlen, bin ich schon eingesprungen, aber die souveräne Tat der jungen Frau ist damit nicht zu vergleichen. Lernen am Modell hat sich die Soziokognitive Lerntheorie auf die Fahnen geschrieben, Zur Nachahmung dringend empfohlen.
Es schadet nie, seine Voreinstellungen & Vorurteile zu hinterfragen. Ohne es weiter begründen zu können, mochte ich die "geniale Nervensäge" (Tagblatt) Elfriede Jelinek nicht. Eine, die immer weiß, was richtig ist, die Inkarnation des guten Gewissens. Durch die sehr guten Kritiken nach der Premiere der Bühnenadaption ihres Buches "Angabe der Person" wurden wir neugierig und sitzen nun nach einem langen Arbeitstag im Deutschen Theater Berlin. Zweieinhalb Stunden fast nur Monologe, keine Pause. Ohne Scho-Ka-Kola (mit ordentlich Koffein) nicht zu schaffen. In diesem Buch nimmt sie die erniedrigenden Erfahrungen einer Steuerprüfung zum Anlass, lapidar, ironisch und entlarvend.über das System der Bürokratie nachzudenken - heute geht's um Geld, damals ging's um die Juden. Einige Verwandte von Elfriede Jelinek wurden im Nationalsozialismus ermordet. Diese Textflächenüberwältigung hat der Regisseur Jossi Wieler kongenial und mit sparsamen Mitteln auf die Bühne gebracht - mit den drei großartigen Schauspielerinnen Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff und Linn Reusse. Von der Kritik am meisten Lob bekam die Haberlandt, aber ihre Kolleginnen müssen sich nicht hinter ihr verstecken. Großer Applaus für einen großen Abend im Theater ohne Theaterstück!
Im Wahlkampf hielten sich die Polit-Promis merklich zurück; das Ergebnis dürfte die Stadt kaum weiterbringen, aber am Sonntag schaut das ganze Land auf Berlin. Erstmals in der Geschichte der Republik musste eine komplette Wahl wiederholt werden; es gab Pleiten, Pech & Pannen zu Hauf. Wie gewohnt, werden abends in den Medien alle Wahlkämpfer:innen gute Miene zum bösen Spiel machen; am Montag beginnt dann der Katzenjammer, und die CDU könnte in die Röhre schauen. Anders als in Hessen oder NRW dürfte es in Berlin für das Modell Schwarz-Grün keine Chance geben, zu weit gehen die politischen Ansichten & Ziele auseinander. Endgültig entscheidet das Bundesverfassungsgericht erst in ein paar Monaten über die Wiederholung der Berliner Chaoswahl von 2021. Der Demokratie haben die Verantwortlichen so oder so einen Bärendienst erwiesen. Bis jetzt weiß ich nur, welche Partei ich am 12. Februar nicht wählen werde.
Erk Walter
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