Monatelang herrschte eine trügerische Ruhe im Lande. Die viel gelobte Corona Warn-App zeigte immer Grün. Diese Woche tat sich plötzlich etwas: 1 Begegnung mit niedrigem Risiko. Was meint diese Nachricht? Müssen wir etwas tun? Diese Fragen passen zur allgemeinen Irritation im Lande, da die Neuinfektionen einen neuen Rekord erreichen. Zwar wird diese App gut angenommen (über 19 Millionen Downloads), aber nur 60% der User laden einen positiven Befund auch hoch - zu wenig. Das Tool spiele in der Arbeit der zunehmend überlasteten Gesundheitsämter "so gut wie keine Rolle", gab Ute Teichert (die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst) der Funke Medien Gruppe zu Protokoll. Man habe entschieden, "den Datenschutz über den Patientenschutz zu stellen". Darüber müssen wir nachdenken, wie ich bereits am 10. April angeregt habe: In digitalen Zeiten mutet auch die analoge Arbeit der Gesundheitsämter seltsam anachronistisch an. Warum nicht dem Ethikrat einen Datenrat zur Seite stellen, der sicherstellt, dass der Zugriff auf Handy-Daten (Tracking) unter bestimmten Bedingungen in der C-Krise möglich und verpflichtend ist.
Derweil färben sich immer mehr Landkreise rot, und natürlich schreckt das Virus auch vor dem Kabinett nicht zurück: ausgerechnet Gesundheitsminister Jens Spahn ist positiv getestet und nun in Quarantäne. Warum sich seine Kolleg*innen nicht auch umgehend testen ließen und bis zur Vorlage des Ergebnisses in Quarantäne gingen, dürfte den wenigsten Menschen draußen im Lande nachvollziehbar sein. "Wer immer wieder die Bevölkerung zur Vorsicht und Disziplin aufruft", empört sich der Kölner Stadtanzeiger", "muss mit positivem Beispiel vorangehen. In einer Phase, in der die Infektionszahlen explodieren, hat die Bundesregierung schlicht versagt." Es schadet nicht, wenn sich die C-Parteien gelegentlich an die Bibel erinnern - "An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen!" (1. Johannes 2,1-6)
Ehe die Politik der Kultur das Leben noch schwerer macht, ohne dass es Belege für ein erhöhtes Infektionsrisiko etwa in Konzerthäusern oder Theatern gibt, schnell mal wieder ins Kino. Ich liebe die kleinen Berliner Kiez-Institutionen mit so herrlichen Namen wie Eva Lichtspiele. Dort werden nicht nur Filme gezeigt, die Macher*innen konzipieren Reihen und feiern Premieren mit besonderen Gästen. Am nächsten Montag steht "Winterreise" auf dem Programm, der letzte Film mit Bruno Ganz. Nach der Vorführung gibt es noch ein Publikumsgespräch mit seiner Witwe, der Theaterfotografin Ruth Walz. Womöglich ist das der Königsweg für kleine Kinos gegen die Übermacht der sog. Streaming-Dienste: Programme mit Herz & Leidenschaft. Erlebnisse, um nicht das abgenutzte Wort Events zu verwenden.
Erk Walter
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