© Rolf Hiller
Im neuen Infinity Mirror Room von Yayoi Kusama kann man die Orientierung verlieren.
Diese Ausstellung ist ein Renner. Es gibt keine Karten mehr für die spektakuläre Retrospektive von Yayoi Kusama im Berliner Gropius Bau, obwohl die täglichen Öffnungszeiten schon verlängert wurden. Nicht wenige nutzen die Installationen & Skulpturen der 92-jährigen Künstlerin als Kulisse für Fotos, vor allem Selfies - alles so schön bunt hier. Dabei verdankt sich das oft farbenfrohe Werk von Kusama ihren Halluzinationen. Schon als Kind hatte sie die Vorstellung, die ganze Welt würde von Netzen überzogen - daraus entwickelten sich dann ihre berühmten Polka Dots. Ihre oft leichten und heiteren Werke entspringen einer zutiefst verunsicherten Persönlichkeit. Nach beeindruckenden Erfolgen in New York kehrte Yayoi Kusama wieder nach Japan zurück und lebt seit 1977 in einer psychiatrischen Klinik in Tokio gegenüber ihrem Atelierhaus, wie uns eine kundige Aufsicht verrät. Längst hat sich die Multimedia-Künstlerin, die zeitweise auch Romane schrieb, eine eigene Mythologie entwickelt. "Ich möchte im Verborgenen leben, in der Welt zwischen Mysterium und Symbol", heißt es in ihrer Autobiographie.
In ihrem neuen Infinity Mirror Room kann man schon die Orientierung verlieren, wie es derzeit nicht wenigen Bürger:innen und ihren Politiker:innen geht. STIKO, SIKO und EMA heißen die Abkürzungen der Irritation. Während die Ständige Impfkommission eine Impfung für 12 bis 17-Jährige nicht empfiehlt, haben die Sächsische Impfkommission und die Europäische Arzneimittel-Kommission kein Problem damit. Die Gesundheitsminister:innen offensichtlich auch nicht; sie sprechen deshalb eine Empfehlung für diese Altersgruppe aus. Die Demontage der STIKO passt ins Bild einer Corona-Politik, die immer zu spät kommt und deren Akzeptanz immer weiter schwindet. Der Vorschlag aus dem Gesundheitsministerium, ab Oktober die kostenlosen Schnelltests abzuschaffen, ist dagegen sinnvoll. Wenn jede:r eine Chance hatte, sich impfen zu lassen, sollte der Staat nicht auch noch die Impfverweigerer alimentieren. Warum das unsolidarisch sein soll, verstehen bloß Freie Demokraten und solche, die Grundrechte nutzen, um unseren Rechtsstaat abzuschaffen. In der überhitzten Stimmung ist erstaunlicherweise höchst selten etwas vom Abwassermonitoring zu hören, worauf die Frankfurter Neue Presse kürzlich hinwies. "Ein funktionierendes Frühwarnsystem ist dagegen das Abwassermonitoring, das die EU-Mitgliedsstaaten eigentlich bis zum 1. Oktober einrichten sollen, das in Deutschland aber bislang nur in wenigen Orten umgesetzt ist. Anders als bei der Inzidenz, die nur gemeldete Infektionen berücksichtigt, wird damit auch die Dunkelziffer erfasst.“ (30.07.21)
Derzeit trüben sich die Aussichten nicht bloß ein, weil uns im Herbst eine 4. Welle der Pandemie droht. Es fehlt an allen Ecken und Enden, wie nicht nur Häuslebauer wissen. Holz ist derzeit knapp und teuer, es mangelt an vielen Rohstoffen und Vorprodukten, die Lieferketten stehen noch längst nicht wieder; Container und Europaletten sind ein knappes Gut. Was Wunder, dass die Preise in vielen Branchen unter Druck geraten sind und zum Teil massiv steigen. Und plötzlich ist sie wieder da: die Inflation. Im Juli stiegen die Preise hierzulande um 3,8%, was zum Teil sicher mit dem Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung zusammenhängt. Knappe Güter und steigende Preise werden das nächste Jahr bestimmen. Im Moment ist hochwertiges Papier für die Druckindustrie gar nicht verfügbar; deshalb geraten die Preise für Recycling-Produkte unter Druck. Von Preissteigerungen über 20% im nächsten Jahr ist schon die Rede. Die Zeiten werden ungemütlicher. Nicht bloß für Verlage.
Erk Walter
Weitere Beiträge https://wahnundwerk.blog