
© Karl Grünkopf
Blick auf den Hamburger Hafen.
“Loben. Immer nur loben”, sagte unser Klassenlehrer in der Mittelstufe gerne mit feiner Ironie. Die Reise nach Hamburg mit der Deutschen Bahn am letzten Wochenende verlief ohne Störungen, sieht man einmal davon ab, dass der Lokführer auf der Rückfahrt den Halt am Bahnhof Wittenberge nicht mehr auf dem Schirm hatte und einfach durchfuhr. Schnell und unkompliziert löste man das Problem und hielt außerplanmäßig im nächsten Ort. Die Tage in Hamburg vergingen wie im Fluge. Wie schon vor zehn Jahren feierte ein Vetter einen sog. runden Geburtstag auf dem Museumsschiff Rickmer Rickmers. Am Vormittag wollte ich ein paar Flaschen Wasser kaufen und bemerkte im Geschäft: mein Handy ist weg! Zum Glück hatte ich noch Bargeld und ging zurück ins Hotel, immer wieder den ganzen Weg rekonstruierend. Plötzlich war ich auf mich selbst geworfen, plötzlich war ich nicht mehr vernetzt und wieder in der Welt von gestern.
Zum Glück fand sich das Handy bei Verwandten, abends war ich wieder online. Dennoch möchte ich die analogen Stunden im Hotel mit Blick auf den Hafen nicht missen. Ich war plötzlich offline und konnte niemanden erreichen, da ich nicht einmal die Mobilnummer meiner Frau kenne. Die zumindest habe ich mir jetzt notiert. Das würde bei einem Netzausfall oder Abschaltung des Internets wie zuletzt im Iran aber auch nicht helfen. Es schadet nicht, sich dann und wann zu vergegenwärtigen, wie anfällig unser Leben in der totalen Digitalisierung ist – ohne das Internet geht gar nichts mehr. Gleichwohl rät der Astrophysiker und Journalist Harald Lesch zum “analogen Widerstand” gegen eine digitale Informationsüberflutung. “Seien Sie nicht den ganzen Tag online, sondern definieren Sie Informationsmahlzeiten, in denen Sie Nachrichten aufnehmen”, empfahl er kürzlich und plädiert für persönliche Kommunikation. “Nutzen Sie die alte Technik des Gesprächs; es ist die größte Missverständnis-Vernichtungsmaschinerie, die man kennt.” Ohne Handy versteht sich.
Bahnkunden würden sich indes über “Informationsmahlzeiten” freuen, wenn Züge vom Frankfurter Hauptbahnhof nicht abfahren können, weil der Streckenabschnitt nach Hanau nicht freigegeben wird – warum, weiß selbst das Leitungspersonal nicht. Bei der ersten Hitzewelle in diesem Jahr wurden Reisen mit der Deutschen Bahn wieder einmal zum Glücksspiel. Mal brannte eine Böschung, mal wurden Züge gestrichen, mal kam das sanierungsbedürftige Netz an seine Grenzen. Die Leistungen (Pünktlichkeit) des Staatskonzerns werden immer schlechter – trotzdem sollen die Preise im Herbst um 10% steigen und Familien für Reservierungen spürbar mehr zahlen. Der neue Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) kündigt für den Spätsommer wieder einmal eine Reform des Unternehmens an. Womöglich muss der amtierende Bahnchef Richard Lutz seinen Hut nehmen. Die Fehler der vergangenen Jahrzehnte spürt der Podcast “Teurer Fahren” auf. Man wollte das Unternehmen an die Börse bringen, verkaufte, was nicht niet- und nagelfest war, und “sparte” sich Investitionen in den Bestand. Was das bedeutet, können die DB-Kunden täglich erfahren. Gute Reise!
Erk Walter
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