© Alexander Janetzko / Berlinale 2023
Der Neustart der Berlinale ist gelungen. Nach den schwierigen beiden letzten Jahren, die von der Pandemie geprägt waren, kamen Promis & Zuschauer:innen wieder in Scharen zum größten Publikumsfestival der Welt. Zufrieden bilanzierte das Leitungsduo Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian: „Volle Kinosäle, bewegende Momente, zahlreiche prominente Gäste und ein neugieriges Publikum kennzeichnen die Berlinale 2023. Das ist für uns gelebte Kinokultur in all ihrer Vielfalt." 320.000 Tickets wurden in diesem Jahr ans Publikum verkauft - das Motto "Let's get together" war Programm. Zu entdecken gab es bei der 73. Berlinale allerhand, etwa einen digital restaurierten Film ("A Woman of Paris") von Charles Chaplin aus dem Jahr 1923, in dem er nur in einer Szene kurz zu sehen ist. Großartig auch "Golda" mit Helen Mirren in der Hauptrolle, "Tár" mit Cate Blanchett und Nina Hoss oder "Sonne und Beton" von David Wnendt. Diese drei Filme liefen leider nicht im Wettbewerb, dem Aushängeschild der Berlinale, der nach einhelliger Meinung heuer allenfalls durchschnittlich gewesen ist.
Die Entscheidungen der unabhängigen Jury unter der Präsidentin Kristen Stewart waren politisch korrekt, setzen aber keine Zeichen. Diese Unentschiedenheit spiegelt sich strukturell in dem Preispotpourri wider: es gibt den Goldenen Bären, den Großen Preis der Jury und den Preis der Jury; es wird nur noch ein Preis für die beste Hauptrolle vergeben. Sei's drum. Neben den bereits genannten Filmen beeindruckte uns am meisten "Roter Himmel" (Großer Preis der Jury) von Christian Petzold. In einigen Szenen lachte das Publikum amüsiert, obwohl es am Ende nichts mehr zu lachen gibt. Großes Kino mit Thomas Schubert und Paula Beer, ein überzeugendes Buch, kurz ein Film, in dem mehr streckt, als zu sehen ist. Diese Vielschichtigkeit fehlt "Sonne und Beton", der mich immer wieder an "Victoria" von Sebastian Schipper erinnert hat. Dicht und geradezu physisch packend wird das Coming-of-Age von vier Freunden in der Berliner Gropiusstadt erzählt, wo das Recht das Stärkeren gilt. Quintessenz ihrer Erfahrungen: "Der Klügere tritt nach."
Dass diese noch nicht ganz verhärteten Jungs nicht abdriften ins kriminelle Milieu der Gangs und Clans, ist eine der vielen Herausforderungen des Siegers bei der Berliner Wiederholungswahl. Kai Wegner und seine CDU, die nun eine Koalition mit der Wahlverliererin SPD unter Franziska Giffey eingehen möchten, stehen in der größten Stadt Deutschlands vor gewaltigen Herausforderungen. Die Agenda ist lang. Berlin muss sich radikal ändern, um im Wettbewerb mit anderen Metropolen bestehen zu können. Ein funktionierende Verwaltung wird es ohne eine Verfassungsreform nicht geben, eine klimaneutrale Stadt nicht mit Verkehrskonzepten der Vergangenheit, sozialen Frieden nicht ohne ausreichend Wohnraum. Schaffen es CDU und SPD sich zusammenzuraufen, stellen Wegner und Giffey persönliche Ambitionen hinter die gemeinsame Sache? An ihren Ergebnissen werden sie gemessen. "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." (Hermann Hesse) Womöglich werden Franziska Giffey und Kai Wegner noch das Traumpaar der Berliner Politik.
Erk Walter
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