
© Andreas L. Berg
Nadine Fingerhut, geboren im Jahr 1985 in einer nordhessischen Kleinstadt, bekommt im Alter von 15 Jahren eine Gitarre zum Geburtstag geschenkt, gründet mit ihrem damals 13-jährigen Nachbarn ihre erste Band und schreibt ihre ersten Songs – damals noch auf Englisch. Nach und nach entwickelt sie ihre eigene Art zu schreiben und zu singen und geht auch textlich immer mehr in die Tiefe.
Eine Erinnerung an deine Schulzeit, die du nie vergessen wirst?
Oh, das ist schwierig. Da gibt es ganz viele. Aber ich möchte auf jeden Fall eine positive Erinnerung für euch rauskramen. Ein ganz wichtiges Erlebnis für meinen weiteren Weg war für mich auf jeden Fall die Abi-Verabschiedung. Ich hatte mich nie getraut, in der Schulband oder im Chor zu singen, weil ich so starke Selbstzweifeil hatte. Bei der Abi-Verabschiedung hab ich dann „What’s up“ von den 4 Non Blondes gesungen. Und es hat sich so gut angefühlt, dass ich genau wusste: Das ist das, was ich machen will. Ich möchte auf der Bühne stehen und singen. Ich möchte mit meiner Stimme Menschen berühren.
Wenn du an deine Anfangszeit denkst: Welcher/e Künstler*in hat dich am meisten geprägt?
In der Zeit um meinen 15. Geburtstag waren bei mir Rock, Punk und Grunge große Themen. Ich stand zum Beispiel auf Nirvana, die Toten Hosen, Greenday, Blink 182, Limp Bizkit, HIM, Papa Roach usw. Deshalb hab ich mir zu meinem 15. Geburtstag auch eine E-Gitarre gewünscht. Nach ein paar Tagen hab ich dann einfach meine Gitarre mit zu meinem Nachbar Nils mitgenommen, der ein Schlagzeug im Keller hatte. Und so ging alles los. Wir wollten Rock ’n’ Roll machen. Und ich bin sicher, dass seinen Eltern öfter mal die Ohren geblutet haben … ;-) Später hab ich dann vor allem Rio Reiser für mich entdeckt und lieben gelernt, aber auch Songwriter wie Bob Dylan, Neil Young, Patti Smith, Joan Baez, Tracy Chapman … Ich denke, Rio Reiser hat ganz viel dazu beigetragen, dass ich angefangen habe, deutsche Texte zu schreiben. Aber auch Philipp Poisel war mit seinem ersten Album, das im Jahr 2008 veröffentlicht wurde, eine ganz große Inspiration für mich.
Erst englisch, dann deutsch?
Ja, genau. Ich hab tatsächlich meine ersten Songs noch auf Englisch geschrieben. Vielleicht, weil ich als Teenie überwiegend englische Bands und Songs gehört hab und es irgendwie cooler klang. Vielleicht aber auch, weil es so noch etwas leichter war, sich zu verstecken. Wenn man auf Englisch singt, dann versteht ein deutsches Publikum nicht direkt jedes Wort. Der Fokus liegt mehr auf der Melodie. Deutsche Texte zu schreiben hat viel verändert für mich. Ich hab schnell gemerkt, dass ich mich in meiner Muttersprache einfach viel besser ausdrücken und viel mehr in die Tiefe gehen kann. Und vor allem auch, dass die Songs ganz anders bei meinem Publikum ankommen. So treffen sie viel direkter und ohne Sprachbarriere ins Herz und die Menschen, die mir zuhören, können sich viel eher selbst darin wiederfinden.
Erzählst du uns bitte etwas über dein neues Album: „Hafen & Meer“?
„Hafen & Meer“ ist eine Metapher für mich. Der Titelsong ist meine Art „Danke“ zu sagen. An die Menschen, die immer an meiner Seite sind. An meine Familie und meine engen Freundinnen und Freunde. Aber auch an diejenigen, die meinen musikalischen Weg schon so lange begleiten. Der Hafen steht für meine Liebsten und das Meer für die Möglichkeit, meinen Traum zu leben. Und das Thema zieht sich durch einige Songs, die auf dem Album zu finden sind. „Karte vom Meer“ handelt zum Beispiel von Fernweh, aber auch von Heimweh. Beide Gefühle kenne ich als Musikerin nur allzu gut. Wenn ich längere Zeit zu Hause bin, dann hab ich den großen Drang, wieder loszufahren, Konzerte zu spielen und Abenteuer zu erleben. Bin ich dann eine Weile unterwegs, wünsche ich mir nichts mehr, als wieder zu Hause zu sein. Aber das ist ok und einfach Teil meines Lebens.
Wie entstehen deine Songs?
In den meisten Fällen nehme ich meine Gitarre in die Hand oder setze mich ans Klavier und fange einfach an, ein paar Akkorde zu spielen. Ich improvisiere ein bisschen und wenn’s gut läuft, finde ich eine Akkordfolge, die etwas mit mir macht und mich zu einer Gesangmelodie inspiriert. Wenn ich dann eine Melodie habe, die ich gut finde, fange ich an zu texten. Manchmal entsteht ein Song auf diese Weise innerhalb von 30-60 Minuten. Das ist der Idealfall. Und ich liebe es sehr, wenn das passiert.
Worauf bist du besonders stolz?
Ich bin vor allem sehr stolz darauf bzw. sehr dankbar dafür, dass mein Sohn so ein emphatischer und wirklich toller junger Mann geworden ist und wir so ein gutes Verhältnis zueinander haben. Er ist mittlerweile 15 Jahre alt. Kurz nachdem ich Mama geworden bin, hab ich mich dazu entschieden, mein Studium der Erziehungswissenschaft abzubrechen und es als Musikerin und Songwriterin zu versuchen. Ich habe also gleichzeitig einen Menschen ins Leben begleitet und mir eine Selbstständigkeit aufgebaut. Ich war und bin allerdings nicht alleinerziehend und hatte auch immer Unterstützung von meinem Lebensgefährten und meinen Eltern.
Was werden die nächsten Projekte sein?
Ich werde demnächst die Schulband einer Real- und Hauptschule übernehmen. Darauf freue ich mich schon. Ich hab mir vorgenommen, gemeinsam mit den Kids eigene Songs zu schreiben. Jeder soll sich einbringen dürfen und kreativ sein. Im letzten Jahr habe ich schon einmal ein Kinderchorprojekt geleitet und über mehrere Monate mit 30 Kindern im Alter von 6-11 Jahren gearbeitet. Sehr wahrscheinlich werde ich auch im nächsten Jahr wieder ein vergleichbares Projekt starten. Es steht also viel Arbeit mit Kindern auf dem Plan für die nächsten Monate. Und gleichzeitig bin ich natürlich weiterhin viel live unterwegs. Und habe die Songs vom neuen Album im Gepäck. Am 29.09.2023 feiern wir die Veröffentlichung meiner neuen Platte im Theaterstübchen in Kassel. Auf diesen Abend freue ich mich momentan ganz besonders.
Was bedeutet Glück für dich?
Glück bedeutet für mich vor allem, mit mir selbst im Reinen zu sein. Zufrieden zu sein mit dem, was ich habe, tue und bin. Das hat viel mit Dankbarkeit zu tun. Ich bin dann wirklich glücklich, wenn ich nicht so sehr auf das schaue, was mir fehlt, sondern dankbar für das bin, was ich habe. Das heißt nicht, dass man keine Wünsche und Visionen mehr haben sollte. Das ist ganz wichtig. Mein Leben ist voll davon. Ich hab noch viele Ziele, möchte noch ganz viel lernen und mich in allen Bereichen weiterentwickeln. Trotzdem bin ich heute schon unglaublich dankbar für das, was ich schon geschafft hab, und für das, was ich schon in meinem Leben habe. Das ist nämlich ganz schön viel.
›› Beim Release-Konzert im Theaterstübchen am 29. September wird Nadine Fingerhut von Erik Regul am Piano und am Bass und Thomas „Dave“ Schröder an den Percussions begleitet.