Fotos: © David Worm und Niklas Vogt
Der Verein Studio Lev Kassel e. V. ist seit 13 Jahren in Kassel aktiv und aus der Kulturszene nicht wegzudenken. Wir haben uns mit Svenja L. Schröder und Julian Mahid Carly zum Interview getroffen, um mit den beiden Köpfen des Vorstands über ihr Engagement, die Projekte und die Zukunft zu sprechen.
In diesem Jahr seid ihr mit dem Studio Lev und Studio Lev Cube in die Kurt-Schumacher-Straße 29 umgezogen. Was ist seitdem alles passiert?
Julian: Super viel. Wir haben endlich einen zentral gelegenen, eigenen Ort, mit viel Platz für kreative Ideen und haben eine echte Plattform für eigene Projektteams und Kollektive, die an der Schnittstelle von Theater, Tanz, Musical und Bildender Kunst Projekte in unseren Räumen konzipieren und arbeiten. Und auch wir können endlich richtig durchstarten und Projekte umsetzen, die lange in der Pipeline waren: Ein vielfältiges wöchentliches Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene, Flohmarkt mit Glitzify-Stand und utopischer Wahrsagerin, ein Büroplatz für wichtige Besprechungen, wilde Karaoke-Partys und natürlich unsere Flagschiff-Musical-Produktionen. Und wir haben so viel Unterstützung erfahren, das ist sehr berührend.
Wie ist die Akzeptanz in der Nachbarschaft?
Svenja: Wir sind total froh, dass wir hier in der Nachbarschaft einen Ort gefunden haben, der sich tatsächlich nach einem Zuhause anfühlt. Wir haben direkt gesagt, dass dieses Zuhause nicht nur für unsere „Bubble“ sein soll, sondern auch für die Menschen, die hier wohnen. Wir laden sie persönlich ein, plakatieren vor Ort und plauschen mit Menschen, die vorbeikommen und den Kopf reinstecken, um zu schauen, was so bei uns passiert. Und wir genießen das Leben in den Glaskuben! Das könnte gerne so bleiben, in jedem Kubus Kultur! Alle sind einander wohlgesonnen und unterstützen sich.
Euer Ziel ist es, diesen Ort als ein Zuhause für Jugendliche, Kreative und Projektschaffende zu etablieren. Wie gelingt euch das?
Julian: Wir wollen immer wissen, was junge Menschen akut brauchen, um gemeinsam kreativ zu arbeiten und sich wohlzufühlen. Ein Kühlschrank mit buntem Wassereis ist da genauso wichtig wie eine gute inhaltliche Workshopvorbereitung unserer Coach*innen. Unser Prinzip ist es, immer alle Projektbeteiligten einzuladen, in unterschiedlichen Rollen eigenverantwortlich aktiv zu werden, in denen sie sich vorher vielleicht auch nicht gesehen haben. Das geht durch Vertrauen und „einfach mal machen lassen“ super auf. Und so haben sich unsere Studio Lev’is schon ziemlich gut in ihrem Zuhause eingerichtet, inklusive liebevoll gebautem Tomatenhochbeet.
Was bietet ihr alles an? An wen richtet sich euer Angebot?
Svenja: Unser Angebot richtet sich an 8-27-Jährige, die an Theater, Musik und Kultur interessiert sind, wobei unser Cho:r auch für Ü27-Jährige ist und im Publikum eh alle willkommen sind. In der Schulzeit findet immer montags die KULTURVA! Theater-AG mit Schauspieler:innen Katharina Brehl und Sandro Šutalo, dienstags K-Pop mit Polly, mittwochs #bühnefrei! mit Theaterpädagoginnen Lidia Schwagerus und Charly Braun und freitags die Requisitenwerkstatt statt. Und es gibt Workshops und Projekte an Wochenenden und in den Ferien. Inhaltlich widmen wir uns immer einem Jahresthema, das dann in allen Projekten erforscht wird. Dieses Jahr ist das Thema „non:binary future?“ und wir setzen uns mit Gegensätzen, binären Denkweisen und Polaritäten auseinander. Neben den Darstellenden
Künsten haben wir auch Angebote, in denen kulturelle und politische Bildung im Mittelpunkt steht, wie zum Beispiel bei unseren „micro me:tas“, da steht bald endlich der Workshop „Drag against Discrimination“ an. Wobei kulturelle und politische Bildung immer auch über die künstlerischen Projekte passiert. Gleichzeitig gehen wir an Orte von Jugendlichen und schauen, was der Bedarf bei unseren Zielgruppen – bei denen, die wir erreichen, und bei denen, die wir erreichen wollen – ist, und entwickeln dann entsprechende Angebote. Im Herbst beispielsweise bieten wir mit „Laut & Leise“ unseren ersten Workshop an, der zu großen Teilen ohne Lautsprache auskommt und so auch für Menschen ohne Deutschkenntnisse ist. Und wir erreichen viele queere Jugendliche. Wir verstehen uns als queeren safer space, schaffen explizit inhaltliche und popkulturelle Angebote, die Queerness in den Mittelpunkt rücken.
Erzählt ihr uns bitte etwas über das Forschungsprojekt mit Bewegung „bodyneutrality | neutralbody“?
Svenja: Hier ist das Thema „unterschiedliche Formate für unterschiedliche Bedürfnisse“. Mit dem forschenden Ansatz geben wir uns und den Teilnehmenden mehr Raum, sich tatsächlich auszuprobieren. Choreografin Anna „Wanda“ Winter erforscht, mit welchen Bewegungen was erzählt werden kann, was wie ausgedrückt wird, auch ohne dass eine Intention dahintersteckt, und wie bekannte Erzählweisen des Körpers umgenutzt werden können, um Stereotype und Lesarten zu hinterfragen. Daraus wird eine Performance entwickelt. Ohne Druck zu forschen und experimentieren zu können, macht unglaublich Spaß! Für das Stereotypez-Casting gibt es bald Termine und die Performance folgt noch dieses Jahr. Interessierte können sich aber jetzt schon über Insta oder Mail bei uns melden: info@studiolevkassel.de
Seit 13 Jahren seid ihr in Kassel aktiv: Die drei schönsten Erlebnisse?
Julian: Das ist natürlich sehr subjektiv und wenn man einmal anfängt, kann man nicht mehr aufhören, aber hier ein paar meiner Highlights: Bei einer Vorstellung von unserem Musical „Vodar Eiland“ 2014 ist der Strom ausgefallen und unser musikalischer Leiter hat den letzten Song dann spontan mit dem Akkordeon begleitet in totaler Dunkelheit. Gänsehaut. Oder als wir 2016 den Kasseler Kulturförderpreis verliehen bekommen haben und meine Mama gecheckt hat, dass wir echt coole Arbeit machen. Oder im Frühling 2022, als wir alle zusammen zum ersten Mal in den neuen Räumen saßen und so viele neue Ideen und Formate aus uns heraussprudelten. Außerdem gab es da den absolut leckersten veganen Schokokuchen.
Gab es auch mal etwas Negatives?
Svenja: Na klar, es gibt immer auch Sachen, die erstmal eine große Herausforderung darstellen, negativ wirken oder auch tatsächlich sind. Zum Beispiel 2017 der Verlust unseres Spielortes im Grünen Weg. Aber ich finde eine ganz große Stärke von unserem Team ist es, selbst aus der schlimmsten Situation noch einen tollen Abend, ein tolles Projekt, eine nachhaltige Zusammenarbeit zu zaubern.
Worauf seid ihr besonders stolz?
Julian: Auf das Vertrauen, das wir uns gegenseitig und den Teilnehmer*innen schenken und was Kultur- und Jugendamt, unsere Unterstützer*innen und das Publikum uns wiederum zurückschenken. Oder auch, dass wir während Corona nicht den Kopf in den Sand gesteckt haben und uns kontinuierlich als Verein weiterentwickeln. Und zu sehen, wie sich auch die einzelnen Studio Lev’is entwickeln: Vom Zuschauen zum Mitmachen bis zum selbst Konzipieren und Gestalten in Kassel, aber auch darüber hinaus.
Alle gehen ihre Wege, aber kommen immer wieder für Projekte zurück und bringen sich nachhaltig ein. Außerdem sind wir schon stolz darauf, dass wir das oft belächelte Musicalgenre über die Jahre hinweg progressiv, experimentell und durchaus politisch für uns immer wieder neu entdeckt haben.
Was werden die nächsten Projekte sein?
Svenja: Wir schreiben gerade im Kollektiv unser 3. eigenes Musical „Turing-Test“, das nächstes Jahr fertig gestellt wird. Dieses Jahr haben wir noch einige kleine Sachen geplant, wie die Abschluss- bzw. Zwischenpräsentation unserer beiden Theater-AGs, dann machen wir Halloween wieder ein „Cold Musicaling“ zum Mitmachen und Karaoke.Und wir planen für nächstes Jahr die Verstetigung unserer wöchentlichen Angebote und zum Beispiel auch mehr Schulkooperationen, mehr Angebote für 8-14-Jährige, Gastspiele und mehr Impro-Theater. Und wir sind natürlich auch offen für Projekte, die an uns herangetragen werden. Und wir wollen Studio Lev weiter verstetigen und professionalisieren.
Was bedeutet Glück für euch?
Julian: Der Moment, wenn junge Menschen auf oder hinter einer Bühne stehen, strahlen, glänzen und man merkt, dass sich gerade Schweißtropfen mit Stolz mischen und etwas wirklich komplett Neues entsteht.
Svenja: Genau, und zu wissen, dass wir alle gemeinsam an etwas arbeiten, das wir alleine nicht schaffen könnten, und dann zu sehen, wie es anfängt zu fliegen!
Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Svenja: Allgemein wünschen wir uns, dass es ein größeres Miteinander, mehr Solidarität, mehr Frieden miteinander und Verständnis füreinander gibt. Im Speziellen für Studio Lev wünschen wir uns, dass wir an diesem Ort weiter wachsen können und dass dieser Ort tatsächlich ein Zuhause für noch mehr junge Menschen wird und sie sich hier sicher, willkommen und gemeint fühlen.