
© Andrej Grilc
Bereits seit 2016 bringt der Kasseler Spätsommer nicht nur blühende Natur, sondern auch Kultur: ein Gipfeltreffen hochkaratiger Musiker*innen, in dem sich verschiedene Musikwelten und Menschen begegnen. 2025 jährt sich das Kammermusikfestival BEGEGNUNGEN zum zehnten Mal – ein Anlass zum Feiern. Vom 22. bis 24. sowie 29. bis 31. August sind in der Kasseler Friedenskirche und im Hallenbad Ost Meisterwerke der Kammermusik von Frühromantik bis Moderne in den unterschiedlichsten Konstellationen zu erleben. In einem abwechslungsreichen und anspruchsvollen Programm, das beeindruckt, für Überraschungen sorgt, Trost spendet und Menschen zusammenführt, begegnet Tianwa Yang den Musiker*innen Lily Francis (Violine), Erika Geldsetzer (Violine), Liisa Randalu (Viola), Wen Xiao Zheng (Viola), Valentino Worlitzsch (Violoncello), Hong Yiu Thomas Lai (Kontrabass), Kilian Herold (Klarinette), Rie Koyama (Fagott), Alec Frank-Gemmill (Horn), Martin Klett (Klavier) und Nicholas Rimmer (Klavier).
Zum zehnten Jubiläum erinnert das Festival im Eröffnungskonzert im Hallenbad Ost zunächst an seine Anfänge: Schon bei den ersten BEGEGNUNGEN erklang Johannes Brahms’ eindrucksvolles Klavierquintett op. 34, ein Werk, das Clara Schumann als „wundervoll großartig“ beschrieb und das heute als Meilenstein der Kammermusik gilt. Seit 2016 hat sich viel entwickelt: Aus vier Konzerten wurden sechs, der Kreis der Musiker*innen wuchs, das Repertoire wurde vielfältiger, vereint Bekanntes und Entdeckungen. Eine solche Rarität ist Béla Bartóks frühes Klavierquintett, komponiert mit nur 22 Jahren. Es zeigt noch deutlich den Einfluss Brahms’, dessen Werk Bartók kannte und bewunderte – ein spannender Dialog zweier Komponisten über Generationen hinweg.
Das erste von zwei Dunkelkonzerten in der Kasseler Friedenskirche eröffnet einen besonderen Raum für Klang und Konzentration. Tianwa Yang war dem 2024 verstorbenen Wolfgang Rihm eng verbunden – sie spielte sein Werk Phantom und Eskapade mit Nicholas Rimmer so häufig wie kaum ein anderes. Die episodische Stückfantasie für Violine und Klavier ist wechselhaft, virtuos, lyrisch. Dazwischen erklingt Franz Schuberts Fantasie f-Moll, ein ergreifendes Werk für vierhändiges Klavier voller Sehnsucht und Schmerz – diese Besetzung ist zum ersten Mal bei den BEGEGNUNGEN zu erleben. Das Finale bildet Ludwig van Beethovens Geistertrio mit seinem schaurig-schwebenden Mittelsatz. Wie bei Rihm treffen auch hier Kontraste aufeinander: Virtuosität, Dunkelheit und Licht.
Zum Abschluss des ersten Konzertwochenendes geht es mit vierhändigem Klavierspiel direkt weiter, und zwar gen Osten: Robert Schumanns Bilder aus Osten bilden den Titel und Ausgangspunkt. Inspiriert von arabischer Prosa des Dichters Al-Hariri, schuf er ein Werk, das zwar westlich bleibt, aber oft als exotisch empfunden wird. Als Exot wird hierzulande auch der armenische Komponist Arno Babadschanjan aufgefasst. Im Konzert ist sein 1952 entstandenes Klaviertrio zu hören, das armenische Volksmusik mit romantischem Gestus verbindet. Hinzu gesellt sich Maurice Ravels 1914 komponiertes Klaviertrio a-Moll, das sich – trotz Kriegsbeginn – erstaunlich heiter zeigt. Besonders im zweiten Satz, dem Pantoum, klingt die fernöstliche Inspiration an: Die Form stammt ursprünglich aus Malaysia.
Die Instrumente Fagott und Horn feiern ihr Debüt bei den Kasseler BEGEGNUNGEN – und das gleich mehrfach am zweiten Festivalwochenende. Im Zentrum steht Ludwig van Beethovens Septett op. 20, das zu seinen Lebzeiten sein populärstes Werk war: symphonisch gedacht, doch kammermusikalisch besetzt. Obwohl er es zunächst schätzte, wandte sich Beethoven später davon ab – zu erfolgreich, zu wenig Kunst, wie er selbst meinte. Ergänzt wird das Programm durch Ralph Vaughan Williams’ Klavierquintett. Der Komponist wollte es nie veröffentlicht wissen; erst nach seinem Tod wurde es freigegeben. Warum, bleibt unklar, denn das Stück überzeugt mit reichem Melodienfluss, romantischer Kraft und einem Hauch englischer Folklore.