Die Spielregeln sind bekannt. Zum Theatertreffen werden jedes Jahr im Mai zehn bemerkenswerte Inszenierungen eingeladen, die eine fachkundige Jury ausgewählt hat. „Es wurden“, ist auf der Homepage der Berliner Festspiele zu lesen, „418 Inszenierungen in 65 deutschsprachigen Städten besucht. 744 Voten gingen bei uns ein und die einzelnen Juror*innen haben jeweils zwischen 94 und 121 Inszenierungen gesehen. Insgesamt wurden 39 Inszenierungen vorgeschlagen und diskutiert.“ Erstaunlicherweise war heuer kein richtiges Theaterstück dabei. Es gab sog. Komplettüberschreibungen, Projekte, Adaptionen, Performances und Bearbeitungen ohne Rücksicht auf Verluste. War die Jury in den falschen Theatern? Werden auf den deutschsprachigen Bühnen gar keine Stücke mehr gespielt? Diesen Eindruck hinterlässt dieser Jahrgang – und jede Menge Unbehagen. Denn zu erleben waren viele schwache Aufführungen, viele verquaste Kopfgeburten, viel Geschreie und Gehampel, viel Musik & Video, als könne man das Publikum nur mit solchem Getöse noch erreichen. Das Gegenteil ist der Fall. In der Pause floh das Publikum so oft wie nie. Einzig bei Thorsten Lensings Bühnenadaption von David Foster Wallace‘ Roman „Unendlicher Spaß“ geht niemand. Gebannt verfolgt das Publikum eine auf diesen Regisseur eingeschworene Schauspielerschar, allen voran die grandiose Ursina Lardi und Devid Striesow, ein fabelhafter Wiedergänger von Jack Nicholson. Aus einem eigentlich nicht dramatisierbaren Roman hat Lensing in geduldiger, jahrelanger Arbeit ein Theaterereignis geschaffen, das Ereignis dieses so wenig bemerkenswerten Theatertreffens 2019. Im nächsten Jahr soll es eine Frauenquote geben. Dieser Tribut an den Zeitgeist bürgt indes nicht für mehr Qualität. Das Theater kann sich nur am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen. Spielt wieder Theaterstücke!
Theater ohne Stück
Eindrücke vom 56. Berliner Theatertreffen 2019