c_nils_klinger
Moby Dick
c_nils_klinger
... Was im Folgenden auf knapp 1000 Seiten verhandelt und erzählt wird, ist vielmehr eine Reise ins Innere des Menschseins, die zwischen dramatischen Erzählpassagen und nüchternen Aufzählungen, zwischen inneren Monologen und motivgeschichtlichen Überlegungen, zwischen Wissenschaftsprosa und Bibelkunde in überbordender Vielstimmigkeit große Themen aufscheinen lässt. Ismael berichtet von Kapitän Ahab, der, von einem weißen Pottwal verstümmelt, sein Leben leidenschaftlich darauf ausrichtet, Rache zu nehmen und das Untier auszurotten. Eine Walfangfahrt – die Ausdauerdisziplin der damaligen Seefahrt, mit ihren bis zu drei Jahren auf See – bot die ideale Bühne für ein derart verzweifelt hoffnungsloses Unterfangen. Der dunkle Glanz, den solche Verengung und Konzentration auf ein Ziel erzeugt, stellt eine Heimat in der Heimatlosigkeit her; er stiftet Sinn – und ist doch ganz und gar sinnlos. Zwischen Todessehnsucht und Todesfurcht rollt die »Pequod« und ihre Besatzung durch die Wellen der Ozeane, die Männer üben das Handwerk des Tötens aus und sind doch Teil der gewaltigen Natur rings umher. Die Gier, die Wut, der Hass, die Rache – Missionen, die die Melancholie vertreiben und doch die Auflösung im »wässrigen Element« letztlich nicht verhindern. »Moby-Dick« war 1851 kein großer Erfolg. Heute lesen wir ihn als Jahrhundertroman, als Zeugnis der kulturellen Selbstbeobachtung einer Moderne, die Fragen aufwirft nach Identität, Erlösung, Beheimatung, wirtschaftlicher Ausbeutung und menschlicher Hybris.