Das Staatstheater Kassel bringt den bedeutendsten Strafprozess der jüngeren deutschen Vergangenheit auf die Theaterbühne. Seit vergangenen Sommer ist der NSU-Prozess nach fünf Jahren abgeschlossen. Er brachte Urteile und Freisprüche, hinterließ enttäuschte Angehörige, manche Fragezeichen über die Rolle des Verfassungsschutzes und stapelweise Akten, die für die Öffentlichkeit auf 120 Jahre verschlossen bleiben. „Wir wollten das Thema weiter im Bewusstsein halten, aufklären und dafür sorgen, dass die Akten nicht in Vergessenheit geraten“, sagt Regisseur Janis Knorr über die Gründe, aus dem NSU-Prozess ein Theaterstück zu machen.
Knorr und Dramaturgin Petra Schiller, die den Stoff vor einem Jahr vorgeschlagen hatte, haben sich in den vergangenen Monaten durch fünf dicke Bände 438 protokollierter Verhandlungstage gelesen. Im Mittelpunkt steht dabei das Schicksal des in Kassel vom NSU ermordeten Halit Yozgat. Knorr und Schiller stützen sich in ihrer Arbeit auf die Protokolle von vier Redakteuren der Süddeutschen Zeitung, die den Prozess über die Jahre begleitet haben. Was daraus schließlich auf der Bühne landet, wird man am 12. September sehen, wenn „Der NSU-Prozess. Die Protokolle“ am tif Premiere feiert.
„Das Urteil ist im Namen des Volkes ergangen“, sagt Knorr. „Daher sollten wir als das Volk auch nachschauen, was in unserem Namen geurteilt wurde.“ Knorr und Schiller legen jedoch Wert darauf, kein Dokumentar-Theater aufführen zu wollen. Auch die Täter werden im Stück keine Beachtung finden. Vielmehr geht es der Kasseler Inszenierung um die Opfer – und um deren Angehörige.
Wie vor Gericht oftmals mit den Angehörigen umgegangen wurde, zeigt beispielhaft jene dokumentierte Szene, in der Ismail Yozgat, der Vater des Ermordeten, den Richter um eine Tatortbegehung bittet, dessen Bitte jedoch mit müdem Achselzucken ausgeschlagen wird. Um diesem Verlangen nachträglich nachzugehen, führen die beiden Kasseler Theatermacher die Handlung des Stückes aus dem Gerichtssaal heraus in die Szenerie jenes Internetcafés, in dem der Mord seinerzeit passiert war.
In der Beschäftigung mit dem Thema haben Knorr und Schiller bisweilen den Glauben an die Justiz verloren. Zu viele Seltsamkeiten sind ihnen begegnet. Schiller: „Erst bei den Plädoyers haben wir den Glauben und die Hoffnung daran wieder gewonnen. Was vor allem an der Arbeit der vielen Nebenkläger lag.“
Regie: Janis Knorr, Dramaturgie: Petra Schiller. Mit: Meret Engelhardt, Rahel Weiss, Hagen Bähr, Marius Marius Bistrizky, Thomas Bockelmann, Artur Spannagel, Uwe Steinbruch.http://www.staatstheater-kassel.de